Seite - 120 - in Stalins Soldaten in Österreich - Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Bild der Seite - 120 -
Text der Seite - 120 -
II. Kriegsende in
Österreich120
bei der Regierungsbildung zu berücksichtigen. Sie sprachen der O5 a priori
ihre politische Vertretungsbefugnis ab, ohne ihren tatsächlichen Beitrag zur
Befreiung und zum ideologischen Widerstand, den sie unter Einsatz ihres Le-
bens geleistet hatten, entsprechend anzuerkennen. Vor allem zeigten die Par-
teien kein Interesse, die Widerstandsbewegung in der von ihr beabsichtigten
Rolle einer politischen Dachorganisation der drei demokratischen Parteien
zu bestätigen. ÖVP und SPÖ gaben eine Erklärung ab, wonach ihre Parteien
selbstständige Organisationen und nicht dazu bereit seien, in eine Dachor-
ganisation einzutreten. Adolf Schärf versicherte zudem, die Sozialisten wür-
den ihre angeblichen Vertreter in der O5 entweder gar nicht anerkennen oder
schnellstens aus der Organisation zurückziehen. Damit waren in allen drei
Parteien die Würfel gefallen. Die Widerstandsbewegung hatte ihren politi-
schen Einfluss verspielt, sodass am 16. April der Wiener Stadtsenat bereits
ohne die Mitwirkung der O5 gebildet wurde.236 Die Angelobung erfolgte am
18. April durch Blagodatov.237
Der „Siebenerausschuss“ der O5 versuchte noch zu retten, was zu retten
war – jedoch ohne Erfolg. Fraser hob etwa in einem Memorandum über die
Tätigkeit der O5 hervor, ihre Aufgabe bestünde u. a. in der Bewachung öf-
fentlicher Gebäude, in der Verhaftung „gefährlicher Nationalsozialisten in
Wien und den befreiten Gebieten“ und – was eher überraschen mag – in der
Zusammenarbeit mit dem NKVD. Ein normales friedliches Leben sollte dank
ihrer Unterstützung in Österreich wieder möglich sein. Die Entwicklung des
politischen Lebens hingegen müsste „zur Gänze den Parteien übergeben“
werden.238 Doch auch die Beteuerung, dass sich die O5 aus dem politischen
Leben zurückziehen würde, trug nicht zur Stärkung ihrer Position bei.
Parallel dazu trat die skeptische sowjetische Haltung gegenüber der ös-
terreichischen Widerstandsbewegung sukzessive zum Vorschein. Neben der
negativen Einstellung der österreichischen politischen Parteien trugen die en-
gen Kontakte der Widerstandsbewegung zum westlichen Ausland zur sow-
236 Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik, S. 166–169; Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 69f.;
Rathkolb, Raoul Bumballa, S. 302f. Auch in einem als „besonders wichtig“ eingestuften Chiffre-
telegramm an Stalin vom 15. April 1945 fand die Widerstandsbewegung keine Erwähnung. Darin
wurde auf die Dringlichkeit, eine Entscheidung bezüglich der Ernennung eines Bürgermeisters
von Wien und der Bildung einer provisorischen Regierung verwiesen, wobei unter anderem Karl
Renner für den Posten des Bürgermeisters Erwähnung fand. Vgl. CAMO, F. 48, op. 3411, d. 196,
S. 315–319, Chiffretelegramm von Tolbuchin, Želtov und Smirnov an Stalin über Kandidaten für
das Amt des Bürgermeisters Wiens und für die provisorische österreichische Regierung, 15.4.1945.
Abgedruckt in: Karner – Stelzl-Marx – Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dok. Nr. 20.
237 WStLB, B1800455, Flugblättersammlung, Befehl Nr. 3 des Militärkommandanten von Wien, Blago-
datov, 18.4.1945.
238 CA FSB RF, K-109717, t. 3, S. 69–71, Memorandum von Gustav Fraser über die Tätigkeit der O5, o.
D. [nach dem 15.4.1945].
zurück zum
Buch Stalins Soldaten in Österreich - Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955"
Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Stalins Soldaten in Österreich
- Untertitel
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Autor
- Barbara Stelzl-Marx
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 874
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918