Seite - 149 - in Stalins Soldaten in Österreich - Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
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3. Militärischer Vormarsch und Regierungsbildung 149
te Tolbuchin mit dem Sekretär der KPÖ, Johann Koplenig, gesprochen und
von ihm das Einverständnis eingeholt, Renner an die Spitze der Regierung zu
stellen. Renner erklärte sich mit der Bildung einer provisorischen Regierung
unter Einbeziehung aller demokratischen Parteien bereit, und sagte zu, bis
zum 23. April eine Kabinettsliste vorzulegen.371
Bereits am 24. April hatte Renner die provisorische Regierung gebildet
und plante, sie am folgenden Tag der Öffentlichkeit vorzustellen. Nun trat
der NKID auf den Plan, der auf das Dringendste die Westmächte über die
geplante Regierungsbildung in Kenntnis setzen wollte. Am 20. April hatte der
Leiter der für Österreich zuständigen 3. Europäischen Abteilung des NKID,
Andrej A. Smirnov, ein internes Papier ausgearbeitet und dem stellvertreten-
den Volkskommissar für Äußeres, Vladimir G. Dekanozov, vorgelegt. Es wäre
„nicht zielführend“, betonte Smirnov darin, „die Frage der Bildung einer ös-
terreichischen Regierung ohne vorherige Benachrichtigung der Alliierten und
ohne Konsultationen mit ihnen zu entscheiden, da dies unnötigen Verdacht
im Zusammenhang mit unserer Politik in Österreich hervorrufen könnte“.372
Dem stellvertretenden Volkskommissar für Äußeres, Andrej Ja. Vyšinskij,
wurde der Entwurf eines Schreibens an die Westmächte am 25. April vorge-
legt, das dieser handschriftlich auf den 24. vordatierte und den Botschaftern
der USA und Großbritanniens in Moskau überbringen ließ. Darin betonte
er, dass sich Karl Renner beim Einmarsch der Roten Armee nach Österreich
selbst an das sowjetische Kommando gewandt und seine Hilfe beim Wieder-
aufbau eines unabhängigen österreichischen Staates angeboten hätte. Die
sow jetische Regierung halte „es für möglich, Karl Renner und andere poli-
tisch Tätigen Österreichs in ihrer Arbeit zur Bildung einer provisorischen Re-
gierung nicht zu behindern“.373
371 AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 7, S. 1–5, Mitteilung von Koptelov an Dekanozov über das Ge-
spräch mit Renner betreffend die Bildung der provisorischen österreichischen Regierung, 19.4.1945.
Abgedruckt in: Karner – Stelzl-Marx – Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dok. Nr. 21.
Vgl. Karner – Ruggenthaler, Unter sowjetischer Kontrolle, S. 125–128; Sokolov, Sowjetische Öster-
reichpolitik, S. 81; Mueller, Die sowjetische Besatzung in Österreich, S. 88–90; Wagner, Die Besat-
zungszeit aus sowjetischer Sicht, S. 58. Wagner stellte das Datum des Treffens richtig, das mehrfach
irrtümlicherweise auf den 20. und 21. April anberaumt wurde. Siehe etwa: Rauchensteiner, Der
Sonderfall, S. 67, 366; Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik, S. 126.
372 AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 7, S. 6, Smirnov und Lavrov an Dekanozov, 20.4.1945. Vgl. Wag-
ner, Die Besatzungszeit aus sowjetischer Sicht, S. 62; Karner – Ruggenthaler, Unter sowjetischer
Kontrolle, S. 128.
373 AVP RF, F. 066, op. 25, p. 118a, d. 7, S. 17f., Vyšinskij an Kennan, 24.4.1945. Abgedruckt in: Minis-
terstvo innostranych del, Sbornik osnovnych dokumentov. Bd. 1, S. 27f. Vgl. Karner – Ruggenthaler,
Unter sowjetischer Kontrolle, S. 128–131; Rauchensteiner, Stalinplatz 4, S. 25f.; Wagner, Die Besat-
zungszeit aus sowjetischer Sicht, S. 63; Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik, S. 132; Sokolov,
Sowjetische Österreichpolitik, S. 82.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Stalins Soldaten in Österreich
- Untertitel
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Autor
- Barbara Stelzl-Marx
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 874
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918