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3. Militärischer Vormarsch und Regierungsbildung 153
Erste Länderkonferenz und die dabei von den Bundesländern in der Form ei-
ner Empfehlung an den Alliierten Rat gefassten Beschlüsse.392 Bedeutsam war
die faktische Errichtung eines Außenamtes unter dem Unterstaatssekretär
und späteren ÖVP-Minister Dr. Karl Gruber aus Tirol, wodurch ein „West-
ler“ in die Regierung kam. Außerdem wurde Dr. Josef Sommer, ebenfalls der
ÖVP angehörend, als neuer Unterstaatssekretär ins Staatsamt für Inneres,
dem mit Franz Honner seit April 1945 ein KPÖ-Mitglied vorstand, zur Vor-
bereitung und Durchführung der Nationalrats- und Landtagswahlen beru-
fen.393 Renner betonte die Notwendigkeit, die Einheit des Landes zu erhalten
und noch vor Jahresende, nämlich am 25. November, Wahlen abzuhalten.394
Nicht nur die Österreicher, auch die Alliierten hatten an die Länderkon-
ferenz gewisse Hoffnungen geknüpft. Die Briten dürften geahnt haben, dass
kein Sturz der Regierung auf der Länderkonferenz zu erwarten war, weswe-
gen sie sich mit einer größtmöglichen Änderung der Zusammensetzung be-
gnügen wollten. Außenminister Ernest Bevin betonte dabei, es handle sich
bei dieser Regierungsumbildung um eine Regierungsneubildung, eine Regie-
rung Renner II. Nur unter diesem Gesichtspunkt könne man nun über die
Anerkennung der Regierung zu sprechen beginnen.395
Zur britischen Reaktion bemerkte der sowjetische Politberater Koptelov:
„Es ist offensichtlich, dass sie [die Briten] sich zumindest damit etwas trösten
und sich das Leben versüßen wollen.“ Er hob das politische Geschick Ren-
ners hervor, das zum Einlenken der Briten beigetragen hätte: „Die Konferenz
entwickelte sich in die von uns gewünschte Richtung. Die Regierung Renner
wurde auf der Konferenz anerkannt. Als man auf der Konferenz Einigung
über eine Vergrößerung der Regierung erzielte [...], griff Renner zu einem
kleinen Trick: Vor allen Konferenzteilnehmern verlas er die Zusammenset-
zung der gesamten Regierung mit den neuen Mitgliedern. Die Briten haben
das aufgegriffen und schrieben von einer völligen Reorganisation und Neu-
bildung der Regierung.“396
392 Klaus-Dieter Mulley, Staatsgründung 1945. Bemerkungen zur personellen und föderalen Rekons-
truktion der Republik Österreich im Jahre 1945, in: Die Länderkonferenzen 1945. Dokumente und
Materialien. Mit Beiträgen von Ernst Bezemek, Leopold Kammerhofer, Klaus-Dieter Mulley, Josef
Prinz, Wolfgang Weber. Wien 1995, S. 11–32, hier: S. 31.
393 Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 125; Eisterer, Österreich unter alliierter Besatzung, S. 157f.
394 Hans Rauscher, 1945: Die Wiedergeburt Österreichs. Die dramatischen Tage vom Kriegsende bis
zum Anfang der Republik. Wien – Köln – Weimar 1995, S. 155.
395 Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 124f.
396 AVP RF, F. 066, op. 25, p.118a, d. 2, S. 49f., Koptelov an Smirnov über die Ergebnisse der Ersten
Länderkonferenz in Wien, 27.9.1945. Abgedruckt in: Karner – Stelzl-Marx – Tschubarjan, Die Rote
Armee in Österreich, Dok. Nr. 50. Vgl. Karner – Ruggenthaler, Unter sowjetischer Kontrolle, S. 142f.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Stalins Soldaten in Österreich
- Untertitel
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Autor
- Barbara Stelzl-Marx
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 874
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918