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4. Die Schattenebene:
Geheimdienst und NKVD-Truppen
Das am Schnittpunkt zwischen Ost und West gelegene, viergeteilte Österreich
sollte ab April 1945 Operationsgebiet der sowjetischen Aufklärungsdienste
und Spionageorganisationen werden. Hier prallten die Interessen der USA und
der UdSSR aufeinander, hier kam es zu einer Projektion des Konfliktes zweier
Weltanschauungen und zweier unterschiedlicher Systeme.159 Direkte und indi-
rekte Informationsbeschaffung über Entwicklungen und Ereignisse der jeweils
anderen Besatzungszone gewann rasch an strategischer und auch politischer
Bedeutung.160 Völlig unproportional zur Größe und Bedeutung des Landes
wurde Österreich zu einem „internationalen Tummelplatz von Agenten, In-
formanten, Provokateuren und Spionen“ der Geheim- und Nachrichtendienste
der Protagonisten des Kalten Krieges, aber auch von Diensten der Nachbarlän-
der.161 Mitarbeiter des sowjetischen Besatzungsapparates rief man zu besonde-
rer Aufmerksamkeit und Vorsicht auf, da sie sich schließlich auf dem Gebiet
eines „kapitalistischen“ Landes befänden.162 Österreicher, die sich tatsächlich
oder vermeintlich von westlichen Geheimdiensten wie der amerikanischen
militärischen Spionageabwehr CIC für Spionageaktivitäten anwerben hatten
lassen, erhielten drakonische Strafen bis hin zum Tod durch Erschießen.163 Füh-
rende sowjetische Repräsentanten in Österreich – wie etwa Hochkommissar
Il’ičev – hatten zuvor beim militärischen Geheimdienst GRU des Generalstabes
gedient oder sollten – wie der ehemalige sowjetische Militärkommissar in Ös-
terreich Vladimir Kurasov – ihre Karriere dort fortsetzen.164
159 Pavlenko, Österreich im Kraftfeld der sowjetischen Diplomatie, S. 575. Vgl. dazu allgemein: Harald
Irnberger, Nelkenstrauß ruft Praterstern. Am Beispiel Österreich: Funktion und Arbeitsweise gehei-
mer Nachrichtendienste in einem neutralen Staat. Wien 1983.
160 Siegfried Beer, Wien in der frühen Besatzungszeit. Erkundungen des US-Geheimdienstes OSS/SSU
im Jahre 1945. Eine exemplarische Dokumentation, in: Ferdinand Opll – Karl Fischer (Hg.), Studien
zur Wiener Geschichte. Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien. Bd. 51. Wien 1995, S.
35–92, hier: S. 39.
161 Siegfried Beer, Nachrichten- und Geheimdienste in Österreich, 1945–1955, in: Stefan Karner – Gott-
fried Stangler (Hg.), „Österreich ist frei!“ Der Österreichische Staatsvertrag 1955. Beitragsband zur
Ausstellung auf Schloss Schallaburg 2005. Unter Mitarbeit von Peter Fritz und Walter M. Iber. Horn
– Wien 2005, S. 221–226, hier: S. 221.
162 Vgl. dazu etwa: RGVA, F. 32903, op. 1, d. 48, S. 86–88, Befehl des provisorischen Leiters der NKVD-
Truppen zum Schutz des Hinterlandes der Südlichen Gruppe der Streitkräfte, Oberst Semenenko,
an alle Kommandeure der NKVD-Truppen zum Schutz des Hinterlandes der Südlichen Gruppe der
Streitkräfte über die Handhabung geheimer Dokumente, 18.8.1945.
163 Siehe dazu auch das Kapitel B.I.2.2 „Verurteilt zum Tod durch Erschießen“ in diesem Band.
164 Siehe dazu auch das Kapitel A.III.3.1 „Die Spitze der Befehlspyramide: Oberbefehlshaber und Mili-
tärrat“ in diesem Band.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Stalins Soldaten in Österreich
- Untertitel
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Autor
- Barbara Stelzl-Marx
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 874
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918