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6. Das Wirtschaftsimperium 275
Beschlagnahmung von Kulturschätzen in Österreich im Vergleich zur sowje-
tischen Besatzungszone Deutschlands noch gering aus. Hier kam Österreich
seine in der Moskauer Deklaration definierte Rolle als „erstes Opfer der hit-
lerschen Aggression“ zugute.483
Im großen Maßstab erfolgten allerdings auch in Ostösterreich die De-
montagen wirtschaftlicher Anlagen. Bereits im Februar 1945 hatte Stalin
den Entschluss gefasst, „Kriegstrophäen“ in den zu besetzenden Gebieten
zu beschlagnahmen und für den Wiederaufbau der zerstörten sowjetischen
Wirtschaft einzusetzen. Bei den einzelnen Fronten installierte man eigene
Kommissionen, die die Anlagen erkundeten und deren Demontage und Ab-
transport betreuten. Eine ganze Reihe sowjetischer Ministerien schickte für
die technische Leitung der Demontagen Ingenieure und leitende Angestellte
nach Österreich.484
Für die praktische Abwicklung war die Hauptverwaltung für Beutegut
(„trofejnoe upravlenie“) der Roten Armee unter ihrem Leiter Fedor I. Vachi-
tov zuständig, welche die benötigten Arbeitskräfte und Transportmittel be-
reitzustellen hatte. Häufig mussten österreichische Arbeiter beim Abbau ihrer
eigenen Arbeitsstätte mitwirken. Die Befehle für die Demontagen erteilte das
sowjetische Staatliche Verteidigungskomitee GOKO.485 Am 19. April 1945,
nur wenige Tage nach der Einnahme Wiens, unterzeichnete Stalin die ersten
diesbezüglichen Beschlüsse. Insgesamt zeichnete Stalin 90 Beschlüsse über
Demontagen österreichischer Betriebe ab, die letzten am 3. August 1945. Sie
betrafen in erster Linie hochwertige Ausrüstungen und Anlagen, wie span-
abhebende Werkzeugmaschinen, Hochöfen, Motoren, Messinstrumente,
Telefon
apparate, Motoren, Walzstrecken u. Ä.486
483 Patricia Kennedy Grimsted, Vom „Fliegenden Merkur“ zu den Büchern der Sammlung Esterházy.
Kulturelle Restitution an die UdSSR durch die westlichen Besatzungsmächte in Österreich und
sow jetisches Beutegut österreichischer Herkunft, in: Stefan Karner – Barbara Stelzl-Marx (Hg.),
Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945–1955. Beiträge. Graz – Wien – München
2005, S. 363–387.
484 Stefan Karner, Zu den Anfängen der sowjetischen Besatzung in Österreich 1945/46, in: Manfried
Rauchensteiner – Robert Kriechbaumer (Hg.), Die Gunst des Augenblicks. Neuere Forschungen zu
Staatsvertrag und Neutralität. Wien – Köln – Weimar 2005, S. 139–186, hier: S. 175f. Zu den sowjeti-
schen Demontagen vgl. auch Stefan Karner – Peter Ruggenthaler – Barbara Stelzl-Marx, Die sowje-
tische Besatzung in der Steiermark 1945. Zur Einleitung, in: Stefan Karner – Othmar Pickl (Hg.), Die
Rote Armee in der Steiermark. Sowjetische Besatzung 1945. Graz 2008, S. 9–42, hier: S. 34–36; Stefan
Karner, Zu den sowjetischen Demontagen 1945/46. Ein erster Aufriss auf russischer Quellenbasis,
in: Michael Pammer – Herta Neiß – Michael John (Hg.), Erfahrung der Moderne. Festschrift für
Roman Sandgruber zum 60. Geburtstag. Stuttgart 2007, S. 301–312.
485 Vgl. dazu die entsprechenden GOKO-Befehle, etwa: RGASPI, F. 644, op. 1, d. 443, S. 194f., GOKO-
Befehl Nr. 9578ss über Demontagen bei Steyr-Daimler-Puch in Graz, 28.7.1945.
486 Bogdan Musial, Stalins Beutezug. Die Plünderung Deutschlands und der Aufstieg der Sowjetunion
zur Weltmacht. Berlin 2010, S. 312f.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Stalins Soldaten in Österreich
- Untertitel
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Autor
- Barbara Stelzl-Marx
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 874
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918