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tagebücher 1848–1853
[venedig] 3. Jänner 1848
die verhältnisse hier sind ernsthafter, als ich mir sie Anfangs dachte, es ist
der moment des überganges, aber des raschen kaum mehr aufzuhaltenden
übergangs. Anonyme Briefe fliegen von allen seiten, worin namentlich den
eleganten damen gedroht wird, mit Zischen etc., auch mit schlägen, wenn
sie deutsche empfangen etc., mitunter lobt man sie auch, wenn sie sich zur
Zufriedenheit des schreibers benommen haben. die Weiber fürchten sich
und gehorchen. die Polizey schläft oder ist von den untern organen schlecht
bedient. dazu kömmt denn auch, daß von unserer seite namentlich unter
den offiziers manches unzeitige vorlaute Wort gesprochen wird, und so geht
der riß immer weiter auseinander. noch vor ein paar Wochen, so sagt man
mir, war von dem Allen keine spur. Bey allen gelegenheiten, im museo,
in lesekabinetten, kaffehhäusern etc. werden reden gehalten, in treviso
vorgestern predigte sogar ein geistlicher von der kanzel herab im gleichen
sinne und erhielt dafür einen fackelzug, während dessen einige fenster ein-
geworfen wurden etc., in den theaters werden chöre wie patria oppressa
etc. in macbeth etc. wüthend applaudirt und repetirt etc. die casinos sollen
diesen fasching geschlossen bleiben, so auch die meisten italienischen sa-
lons, um den contact mit den deutschen zu vermeiden. das Alles geht von
mailand aus, wo es natürlich noch ärger zugeht.
nebst diesen lächerlichen Albernheiten aber geschehen ernstere schritte,
in mailand hat der deputato centrale nazzari die niedersetzung eines co-
mité beantragt, welches über die ursachen der allgemeinen mißstimmung
in der lombardie berichten soll. spaur ist auf höhern Befehl darauf einge-
gangen, und das comité sitzt, hier erwartete man Ähnliches, und als nichts
geschah, richtete der Advocat manini von hier eine Aufforderung an die con-
gregazione centrale, ein gleiches zu thun. übermorgen mittwoch soll dieß
nun zur Berathung gelangen, und an allen häusern liest man geschrieben:
mercoledì in piazza. die hauptdesideria sind: erweiterung der Befugnisse
der centralcongregation zu einer Art consulta di stato, größere censurfrey-
heit und guardia civica. die italienischen farben roth grün weiß sieht man
überall, so wie auch die päbstlichen gelb und weiß, und an jedem hause
steht viva pio nono, und in jedem laden hängt das Porträt Pius iX.
daß unter diesen umständen das sonst hier so angenehme sociale leben
fast ganz darnieder liegt, ist natürlich. übrigens haben mich meine guten
Bekannten von früher, besonders die älteren, ganz so wie immer empfangen,
weniger war dieß bei den damen und jüngeren leuten der fall. ich halte
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien