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1. EINLEITUNG
1.1 Forschungskontexte
In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts und den ersten Jahrzehnten des
20. Jahrhunderts wurden Arbeit wie auch Nicht- Arbeit in Europa radikal neu
bestimmt und verhandelt. Was gute Arbeit bzw. überhaupt Arbeit war, welche
Tätigkeiten und Zustände noch legitime Nicht- Arbeit darstellten, und welche
zu verhindern und zu bestrafen waren, erfuhr in dieser Periode eine teils massive
Umdeutung. Wenn auch die Grundlinien dieser Differenzierungen bereits in der
frühen Neuzeit vorhanden waren, so dürften sich deren praktische Auswirkungen
im 17. und 18.
Jahrhundert weitgehend auf gelehrte Debatten beschränkt und wenig
Einfluss auf die Praktiken der breiten Bevölkerung gehabt haben.1 Im 19. Jahrhun-
dert vollzogen sich dann zahlreiche Veränderungen dessen, wie Arbeit nicht nur
gedacht, sondern auch praktiziert und organisiert wurde. Jürgen Kocka konstatiert
etwa die Zunahme marktvermittelter Arbeit, die räumliche Trennung von Arbeits-
und Wohnort und Änderungen in der staatlichen Regulation von Arbeit, die für
ihn zu einer Verengung des Arbeitsbegriffs auf Erwerbsarbeit führte.2 Auch Josef
Ehmer spricht von einer Bedeutungszunahme von Erwerbs- wie auch Berufsarbeit
im 19. und frühen 20. Jahrhundert, die zur Grundlage sozialer Bewegungen, ideo-
logischer Strömungen und staatlicher Programme wurden.3 Brigitta Bernet und
Jakob Tanner betonen den im 19.
Jahrhundert durchgesetzten Begriff der „produkti-
ven Arbeit“, der eine enorme Aufwertung von Arbeit bei gleichzeitigem Ausschluss
jener Tätigkeiten, die nicht betriebliche Lohnarbeit waren, mit sich brachte.4 In den
letzten Jahrzehnten des 19.
Jahrhunderts verstärkten sich diese Entwicklungen bzw.
erreichten sie eine neue Qualität. Sebastian Conrad, Elisio Macamo und Bénédicte
Zimmermann sehen vor allem die Kommodifizierung von Arbeit (als Arbeitskraft)
1 Ehmer, Geschichte, 35. Nach Brigitta Bernet und Jakob Tanner gilt das allerdings in ver-
mindertem Ausmaß auch noch für das 19. und 20. Jahrhundert: „Historisch gesehen ist das
lebenslange ‚Normalarbeitsverhältnis‘
– im Sinne einer freien, sozial abgesicherten Erwerbs-
tätigkeit
– indes nicht die Norm, sondern eine Ausnahmeerscheinung, die streng genommen
gar nie normal war
[…] viele produktive Tätigkeiten
[…] waren auch im globalen Norden nie
in ein Normalerwerbsverhältnis eingebunden.“ (Bernet/Tanner, Einleitung, 162) Für Zahlen
zum Ausmaß der Erwerbsarbeit zwischen 1914 und 1950 siehe Geary, Labour, 263.
2 Kocka, Work, 7 ff.
3 Ehmer, Geschichte, 35 ff.
4 Bernet/Tanner, Einleitung, 13 f.
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur