Seite - 12 - in Über die Produktion von Tönen - Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
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In der vorliegenden Untersuchung wird demgegenüber eine Vielzahl von Arbeitsbe-
griffen und -praktiken, die innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums das Praktizieren
einer und die Auseinandersetzungen um eine spezifische Tätigkeit bestimmten, in den
Blick genommen. Es stellt sich die Frage, ob und wie die oben angeführten ‚großen‘
Veränderungen von Arbeit und Nicht-
Arbeit auch bei einer detaillierten Betrachtung
einer spezifischen Tätigkeit und der an dieser beteiligten Akteure sichtbar werden. Es
geht also um die vielfältigen Differenzierungen und Hierarchisierungen von Arbeit
und Nicht- Arbeit, und dabei sowohl um unterschiedliche Begrifflichkeiten des Spre-
chens über Arbeit, unterschiedliche theoretische Konzeptionen von Arbeit, wie auch
um unterschiedliche Arten, Arbeit zu tun. Die dafür untersuchte Tätigkeit ist jene
des Musizierens und Singens (infolge kurz: Musizieren), wobei die Untersuchung
sich verhältnismäßig stärker mit Instrumental- als mit Vokalmusik beschäftigt.19 Die
Historiografie der Arbeit befasste sich traditionell wenig mit Unterhaltungs- oder
Kunsttätigkeiten, sondern vor allem mit Tätigkeiten in Industrie, großen Agrarbe-
trieben etc. Auch die neuere Arbeitsgeschichtsschreibung, die verstärkt informelle
oder marginalisierte Arbeit in den Blick nimmt, hat sich diesem Bereich bislang noch
nicht gewidmet. Tätigkeiten wie Musizieren scheinen nicht zu einer Geschichte der
Arbeit zu passen, vielleicht auch weil sie nicht sich intuitiv aufdrängenden Bildern
von Arbeit entsprechen.20 Für eine Untersuchung der Differenzierungen und Hierar-
chisierungen von Arbeit und Nicht- Arbeit eignet sich Musizieren jedoch vor allem
deshalb besonders gut, weil es im Untersuchungszeitraum in vielfältigen Formen aus-
geübt wurde – als Beruf, als Gelegenheitsarbeit, als Not-
Unterhalt oder auch (etwa
in der Freizeit) als Nicht- Arbeit. Durch Entwicklungen wie Massenkultur und Ver-
gnügungsindustrie wurden im 19. Jahrhundert neue Möglichkeiten berufsförmigen
Musizierens geschaffen, während die Professionalisierung des Musizierens in der
Kunst schon einige Jahrzehnte zuvor eingesetzt hatte. Gleichzeitig entstanden zu
Beginn und besonders seit der Mitte des 19. Jahrhunderts mit den Blasmusikkapel-
len neue Formen des Musizierens zur eigenen Unterhaltung, und ältere Praktiken
wie das Musizieren auf der Straße oder im Umherziehen auf dem Land als Not-
Unterhalt wurden weiterhin ausgeübt. Dementsprechend waren Fragen wie jene
nach der Erwerbsmäßigkeit, der Berufsmäßigkeit oder dem Arbeitscharakter von
Musizieren auch für zeitgenössische Akteure immer wieder von Belang.
Vorausgesetzt wird demgemäß von mir in dieser Untersuchung nicht, dass Musi-
zieren stets Arbeit war. Vielmehr werden Praktiken des Musizierens daraufhin unter-
sucht, mit welchen Arbeits- und Nichtarbeitsformen sie zeitgenössisch assoziiert
19 Infolge kurz: Musizieren.
20 „The consciously contrived mask of effortlessness, I will argue, historically has obscured the
ways in which music has functioned as a form of labour.“ (Miller, Musicians, 428).
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur