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recreation is no longer the paradigmatic circumstance of music.“ 32 Als für diese
Entwicklung exemplarisch können in Österreich zwei Ereignisse gelten: Zum einen
wurde nach 1848 die Anforderung des Amateurstatus für Mitglieder des Orches-
ters der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien zurückgenommen und damit das
Orchester auch für BerufsmusikerInnen geöffnet. Zum anderen wurde 1899
– und
damit im europäischen Vergleich erst spät – ein zweites (neben dem Hofopernor-
chester) ständiges Orchester gegründet, das aus Berufsmusikern bestand.33 Lieb-
haberInnen und DilettantInnen wurden nun verstärkt in der Hausmusik oder in
Musikvereinen tätig, anstatt regelmäßig öffentlich aufzutreten. Angesichts der
Tatsache, dass durch die Massenproduktion an Instrumenten und Noten einerseits,
die oben beschriebene starke Zunahme musikalischer Ausbildungen andererseits,
ihre Zahl stark zunahm, erlebten diese Aktivitäten während des 19. Jahrhunderts
einen regelrechten Boom.34
Auch in der Unterhaltungsmusik hatten die oben beschriebenen Entwicklungen
der Massenkultur große Bedeutung für das Verhältnis von AmateurInnen bzw. Laien
und BerufsmusikerInnen (als Kategorisierungen vor allem der Intensität, mit der sich
jemand mit Musizieren beschäftigte und Musizieren praktizierte). Die „Erfindung“
von Freizeit im Zuge der Industrialisierung eröffnete nicht nur neue Möglichkei-
ten für berufsmäßiges Musizieren in der Unterhaltungsindustrie, sondern ermög-
lichte vielen nun auch das Musizieren als AmateurIn, sei es zur eigenen Unterhal-
tung oder zur Unterhaltung anderer. Davon zeugen z. B. in Österreich die große
Zahl an Gründungen von Blasmusikkapellen und Männerchören nach 1848 (wobei
Letztere das Musizieren oftmals auch als Legitimation ihrer politischen Betätigung
verwendeten)35 und die zentrale Bedeutung des Musizierens für die gegen Ende
des 19. Jahrhunderts entstehende Jugendbewegung.36 Im Kampf um das zahlende
Musikpublikum spitzte sich der Konflikt zwischen (oft un- oder unterbezahlten)
32 Gramit, Serious, 97.
33 In den vorangegangenen Jahrzehnten gab es wiederholt Versuche zur Gründung dieses zweiten
ständigen Orchesters, die aber wiederholt an der dauerhaften Finanzierung scheiterten. Die
Gesellschaft der Musikfreunde Wiens versuchte wiederholt die Etablierung eines Berufs-
orchesters, musste aber stattdessen immer wieder auf Orchester unter Beteiligung von Ama-
teuren und Mitgliedern des Hofopernorchesters zurückgreifen. Der Wiener Musikerbund
als Interessenvertretung der Berufsmusiker erreichte schließlich 1899 die Gründung eines
eigenständigen Symphonieorchesters, dessen dauerhafte Finanzierung infolge allerdings nur
gegen den Rückzug des Musikerbundes aus der Unternehmung zugesagt wurde. Vgl. Heller,
Zeit, 102 – 106.
34 Vgl. Ballstaedt/Widmaier, Salonmusik.
35 Flotzinger, Geschichte, 167 ff.
36 Ebd., 174.
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur