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AmateurInnen und BerufsmusikerInnen zu. Vor allem die Musikergewerkschaften,
die großteils in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründet wurden, unter-
nahmen große Anstrengungen, um AmateurInnen als unzulässige Konkurrenz zu
positionieren, und agitierten oftmals für den Ausschluss von AmateurInnen vom
entgeltlichen Musizieren.
Die hier dargestellten Prozesse sind auch in Beziehung zu gesamtgesellschaft-
lichen Entwicklungen von Arbeit und Beruf zu sehen. Einen Beruf zu haben,
einen Beruf zu wählen oder sich auf einen Beruf vorzubereiten waren Praktiken,
die in Europa gegen Ende des 19. und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhun-
derts immer wichtiger wurden. Während Vorstellungen und Praktiken beruflichen
Arbeitens schon lange zuvor existiert hatten, wurde Beruf nun zu einer Anfor-
derung nicht nur an eine kleine Minderheit, sondern an die breite Bevölkerung.
Beruflich tätig zu sein, konnte einen Handelnden in verstärktem Maße legitimie-
ren – genauso, wie keinen Beruf zu haben, suspekt war und Anlass zu Kritik gab.37
Auch vor diesem Hintergrund wird die zunehmende Bedeutung der Beurteilung,
ob jemand als BerufsmusikerIn musizierte oder ‚nur‘ nebenbei, für die handelnden
Akteure verständlich.
Eine Sonderform beruflichen Musizierens stellte die Profession dar. Im 18. und
19. Jahrhundert gab es in verschiedenen europäischen Ländern Versuche, Musizie-
ren (bzw. Teile davon) als Profession durchzusetzen. Der damit verbundene höhere
soziale Status sollte im Allgemeinen durch eine bessere Kontrolle der musikalischen
Ausbildungen und der Zugangsregelungen zum Beruf stattfinden. Wie Deborah
Rohr beschreibt, scheiterte dieser Versuch in England zwischen 1750 und 1850 vor
allem durch den ‚fragwürdigen‘ Charakter von MusikerInnen in den Augen vieler
Zeitgenossen (Konnotation mit Immoralität und ausländischen Einflüssen) ebenso
wie durch Statusheterogenität und die Vielfalt an Ausbildungen mit stark unter-
schiedlicher Qualität.38 Eine ebenfalls sehr aufschlussreiche Untersuchung eines
Professionalisierungsversuchs gibt die eingangs bereits erwähnte Untersuchung
von Lynn Sargeant zu Russland zwischen 1861 und 1917. Hier war das Konservato-
rium der primäre Ort, an dem die Profession des Musizierens durchgesetzt werden
sollte, unterstützt durch dessen Verbindung mit dem legalen Status als freier Künst-
ler. Sargeants Schlussfolgerung über diesen Prozess nimmt wiederum auf die oben
beschriebene Differenzierung Bezug: „The effort of Russia’s musicians to transform
themselves into a profession succeeded at the expense of removing opportunities for
public participation in musical life for amateurs or ‚dilettantes‘.“ 39
37 Wadauer/Mejstrik/Buchner, editorial, 5 ff.
38 Rohr, Careers.
39 Sargeant, Class, 52. Entwicklungen vor 1918 27
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur