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2.1.3 Nationalisierung und Internationalisierung
Musizieren war schon vor dem 19.
Jahrhundert eng mit Mobilität verbunden gewe-
sen. Feste Anstellungen von Musizierenden über längere Zeit an einem Ort gab
es traditionellerweise an Höfen, im Dienste von Glaubensgemeinschaften (etwa in
Kirchen oder Synagogen) oder als offizielles Amt in Städten (Stadtpfeifer). Dem-
gegenüber standen wandernde MusikantInnen auf dem Land, herumziehende Bettel-
musikantInnen in den Städten und OpernsängerInnen oder EnsemblemusikerInnen,
die je nach Saison an unterschiedlichen Spielorten tätig waren.40 Was im Laufe des
19.
Jahrhunderts aber erheblich zunahm, war zum einen das Ausmaß der Mobilität
von Musizierenden, zum anderen die Verbreitung eines über Ländergrenzen hinaus
bekannten und akzeptierten Repertoires an Musik.
Sowohl in der Kunstmusik als auch in der populären Unterhaltung stand die
internationale Verbreitung musikalischer Werke in engem Zusammenhang mit
der weiter oben angesprochenen Durchsetzung eines musikalischen Massen-
marktes. In der Kunstmusik entstand ein Kanon von Klassikern, beginnend mit
Mozart, Beethoven und Haydn, der innerhalb West- und Mitteleuropas im Laufe
des 19. Jahrhunderts zunehmend an Verbindlichkeit gewann.41 Auch Komponis-
ten des 19. Jahrhunderts wie Wagner oder Mahler wurden zwar durchaus kontro-
versiell diskutiert, ihre Werke waren aber dem Publikum von Kunstmusik in ganz
West- und Mitteleuropa bekannt. Damit einher ging eine verstärkte Mobilität der
Musizierenden, exemplarisch verkörpert durch die Virtuosen, deren Aufführungen
in ganz Europa bekannt waren und die selten länger als eine Woche in einer Stadt
auftraten. Im Bereich der populären Unterhaltung war das musikalische Repertoire
deutlich schnelllebiger, sodass sich hier kein Kanon an Klassikern herausbilden
konnte. Trotzdem konnten die finanziellen Möglichkeiten, die die Vermarktung
von Musik in vielen verschiedenen Ländern bot, auch hier genutzt werden. Ber-
liner Gassenhauer wurden auch in Paris vermarktet und gesungen, amerikanische
Tanzmusik in den Vergnügungslokalen ganz Europas gespielt, und österreichische
Operetten in großem Ausmaß in Deutschland und Frankreich publiziert und auf-
geführt. Klaus Nathaus zeigt, wie nicht nur KomponistInnen und VerlegerInnen
selbst, sondern vor allem auch die Ende des 19. Jahrhunderts neu gegründeten
Urheberrechtsgesellschaften in Frankreich oder Österreich in starker Konkurrenz
zueinander daran arbeiteten, ihre nationalen Repertoires in benachbarten Län-
dern mit großen Absatzmärkten an Vergnügungslokale zu verkaufen. Auch auf
diese Weise entstanden die Anfänge eines internationalen Musikmarktes. Darüber
40 Vgl. Salmen, Beruf, 190 ff.
41 Müller, Einleitung, 23.
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur