Seite - 30 - in Über die Produktion von Tönen - Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
Bild der Seite - 30 -
Text der Seite - 30 -
von bestimmten Nationen oder Völkern betont. Die internationale Mobilität von
MusikerInnen hingegen wurde von den Ende des 19.
Jahrhunderts neu entstehenden
und national organisierten Musikergewerkschaften bekämpft. Auch wenn 1901 mit
der International Artistes‘ Lodge (u. a. für SängerInnen) und 1904 mit der Inter-
national Confederation of Musicians zwei internationale Musikergewerkschaften
gegründet wurden, blieb der Schutz der jeweils nationalen Musikarbeiterschaft vor
ausländischer Konkurrenz ein wichtiges Anliegen. Dieser Konflikt zwischen einem
immer internationaler organisierten Musikmarkt und den zu Beginn des 20. Jahr-
hunderts weit über das Musizieren hinausgehenden nationalen Abschottungsten-
denzen der Gewerkschaften spaltete die organisierte Musikerschaft immer wieder,
etwa im Zuge von Diskussionen über die Ausnahmeregelungen zu Ausländerbe-
schäftigungsgesetzen für MusikerInnen.
Am Beginn der Zwischenkriegszeit standen also auch weiterhin äußerst vielfältige
Formen des Musizierens nebeneinander, für die dennoch einige allgemeine Cha-
rakteristika bzw. Entwicklungen festgehalten werden können. Musizieren war zum
Massenphänomen geworden, was die Anzahl der Musizierenden wie auch die Größe
des Publikums und das Ausmaß der komponierten Musik betrifft.46 Auch die Auf-
trittspraktiken (in „Monsterkonzerten“, den Konzertsälen von Vergnügungspalästen
oder gleich im Radio) zielten nun deutlich stärker als zuvor darauf ab, eine große
Masse von Menschen zeitgleich musikalisch zu unterhalten. Musizieren wurde in
diesen Formen als Angebot am Unterhaltungs- bzw. Kunstmarkt organisiert
– was
zeitgenössisch mit Begriffen wie Kommerzialisierung oder Amerikanisierung immer
wieder kritisiert wurde. Dennoch existierten nach wie vor Musizierformen wie das
Musizieren im Verein oder Bettelmusizieren auf der Straße, die nicht für ein ano-
nymes Massenpublikum stattfanden, sondern die sozialen Beziehungen zwischen
Musizierendem/Musizierender und Publikum oftmals besonders betonten. Diese
Musizierformen waren darüber hinaus stark lokal verhaftet, während die oben ange-
sprochenen Angebote am Unterhaltungs- und Kunstmarkt durch internationale
Repertoires und die Mobilität der Musizierenden örtlich weitgehend ungebunden
wurden. Zugleich hatte die starke Zunahme an musikalischen Ausbildungsforme-
nund musikalisch Ausgebildeten zwar zu neuen Formen der Musikerlaufbahn geführt,
nicht jedoch auch zu einer eindeutigen Trennung der Tätigkeiten von Professionellen
und AmateurInnen. Waren Letztere nach und nach aus der öffentlichen Auffüh-
rung von Kunstmusik verdrängt worden, so wurden Tätigkeiten wie das Musizie-
ren in Konzertcafés oder Kurorchestern noch gleichermaßen von beiden Gruppen
46 Cyril Ehrlich etwa schätzt für Großbritannien zwischen 1840 und 1930 eine Zunahme der
MusikerInnen um das Siebenfache, während sich die Bevölkerung im gleichen Zeitraum nur
verdoppelte (Ehrlich, Music Profession, 51).
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO. KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Differenzierungen von
Musizieren30
zurück zum
Buch Über die Produktion von Tönen - Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938"
Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur