Seite - 42 - in Über die Produktion von Tönen - Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
Bild der Seite - 42 -
Text der Seite - 42 -
ernähren wissen“, einen Erlaubnisschein für das Musizieren und Singen auf der
Straße oder in Gasthäusern beantragen.97 Das Hofkanzleidekret von 1821 stellte aber
eine gewisse Vereinheitlichung der bereits bestehenden Regelungen dar. Bestimmte
Formen des Musizierens waren demnach nicht redlicher Erwerb, sondern Bette-
lei. Diese Kategorisierung – Bettelmusizieren als unredlicher Erwerb und dessen
Erlaubnis nur bei Arbeitsunfähigkeit
– diente im Laufe des nächsten Jahrhunderts
als Referenz für den Umgang der mit Bettelmusiklizenzen befassten Behörden.98 Die
InhaberInnen von Bettelmusiklizenzen standen
– entsprechend auch den einleiten-
den Worten des Hofkanzleidekretes – stets unter dem Verdacht, nicht zu arbeiten,
obwohl sie arbeiten hätten können, d. h. die behördlichen Bestimmungen zu hin-
tergehen. Dementsprechend zahlreich waren auch die Forderungen an Behörden,
keine Bettel musiklizenzen zu vergeben bzw. die Vergabe nur im äußersten Notfall
durchzuführen. Die fortschreitende Etablierung einer staatlichen Armenversorgung
folgte einer anderen Logik als die Vergabe von Lizenzen an jene, die sich anders
nicht erhalten konnten, und geriet immer wieder in Konflikt damit.99 Dennoch
blieben die Lizenzen für Bettelmusik über ein Jahrhundert lang bestehen. Neben
der Wahrnehmung einer langen Tradition von Musizieren als Not- Unterhalt 100
durch die Bevölkerung dürfte dafür auch die Position der lokalen Behörden wie
97 Gebhardt, Rechtsstellung, 30.
98 Vgl. z. B. Oberösterreichisches Landesarchiv, BH Freistadt, 1935/Schachtel 580, BH Freistadt,
Schreiben an alle Gemeindeämter und Gendarmerieposten vom 12.
Mai 1933, Zl.
188/X-29.
„Nach dem H. K. Dekret vom 29. 5. 1821 Zl 14617 kommen solche Bewilligungen überhaupt
nur ausnahmsweise in Frage; zwei wichtige und ganz unerläßliche Voraussetzungen sind
dabei: Die bewerbende Person muß zu jedem anderen Erwerb durchaus unfähig und zur Auf-
nahme in eine Versorgungsanstalt entweder nach den Satzungen dieser Anstalt oder darum
ungeeignet sein, weil sie für eigene unmündige Kinder zu sorgen hat. Es ist also z. B. nicht
angängig, daß sich Personen um eine Bettelmusik- Erlaubnis bloß darum bewerben, weil sie
arbeitslos, ausgesteuert oder bloß kränklich sind.“; Mischler/Ulbrich (Hg.), Staatswörterbuch,
886: „Bettelmusiklicenzen sollen in der Regel nicht ertheilt werden. Ausnahmen sind bloß
zulässig hinsichtlich Personen, welche von Natur zu jedem anderen Gewerbe unfähig sind
und eine anderweitige Versorgung nicht finden.“
99 Vgl. dazu auch eine Eingabe des Verbandes der Straßenmusikanten: „Die Armenfürsorge
[…]
hat sich in zwei verschiedene Richtungen entwickelt: Für den grösseren Teil wurden aus öffent-
lichen Mitteln Anstalten errichtet und erhalten (Armenhäuser) und für den übrig bleibenden
Teil, welcher in diesen Anstalten keine Aufnahme mehr finden konnte, wurde die Fürsorge in
der Weise getätigt, dass sie, mit steuerfreien Lizenzen versehen, durch die Behörden ermächtigt
wurden, ihren Lebensunterhalt durch Anrufung der öffentlichen Wohltätigkeit zu fristen.“
(Österreichisches Staatsarchiv, AdR, Bundeskanzleramt/Ministerium für Inneres, Schaustel-
lungen etc., 1922, Zl. 33.712, Reichsverband der Strassenmusiker Österreichs, Schreiben an
das Staatsamt für soziale Verwaltung).
100 Vgl. Salmen, Beruf, 85 ff.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO. KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Differenzierungen von
Musizieren42
zurück zum
Buch Über die Produktion von Tönen - Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938"
Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur