Seite - 46 - in Über die Produktion von Tönen - Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
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organisierte sich auch eine zahlenmäßig kleine Gruppe von ihnen im Verband der
Musiklizenzinhaber, in der Organisation der Krüppelmusikanten oder im Reichs-
verband der Straßenmusikanten.112 Diese Gruppen positionierten sich gemäß obiger
Kategorisierung als arbeitsunfähig gegenüber den „arbeitsscheuen“ und „schwarz-
spielenden“ KonkurrentInnen und forderten folgerichtig ein härteres Vorgehen
der Polizei gegen diese, aber auch etwa die Erteilung von Gewerbescheinen statt
Bettelmusiklizenzen (was nicht leicht mit dem Erfordernis der Arbeitsunfähigkeit
einhergegangen sein dürfte).113 Sie griffen also die etablierte Gleichsetzung von
Bettel- und Straßenmusizieren mit Nicht- Arbeit an, ohne damit Gehör zu finden.
Das Theatergesetz von 1929 schaffte die Bettelmusiklizenzen dann – nachdem sie
ein Jahrhundert lang immer wieder von Verwaltungsbehörden beanstandet worden
waren – für den Raum Wien ab (allerdings mit der Möglichkeit der Verlängerung
bereits bestehender Lizenzen).114
Auch andere Musizierpraktiken wurden von manchen Akteuren als Nicht-
Arbeit
kategorisiert. Nicht nur, wer auf dem Land umherzog oder in Straßen und Höfen
musizierte, fiel unter den Verdacht der Nicht- Arbeit. Auch die Tätigkeit des/der
Musik- ArtistIn 115 schien suspekt. Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang
die wiederkehrenden Versuche der Internationalen Artisten- Organisation,116 die
Tätigkeit ihrer Mitglieder als Arbeit bzw. Beruf zu positionieren. So konnte man in
einem Artikel zur Anprangerung des Animierwesens durch ArtistInnen lesen: „Was
denkt sich dabei das Publikum? Wir wollen doch der Gesellschaft beibringen, daß
wir vollwertige, arbeitsfreudige Menschen sind, wir wollen mit dieser auf gleicher
112 Österreichisches Staatsarchiv, AdR, Bundeskanzleramt/Ministerium für Inneres, Schaustel-
lungen etc., 1922, Zl.
47.778, Demonstration der blinden und krüppelhaften Strassenmusiker.
Denkschrift des Verbandes der Musiklizenzinhaber; Illustriertes Wiener Extrablatt (1922),
15.
August, 3; Illustriertes Wiener Extrablatt (1921), 17.
August, 4; Illustriertes Wiener Extra-
blatt (1921), 26. Juli, 3; Illustriertes Wiener Extrablatt (1925), 1. Mai, 6.
113 Illustriertes Wiener Extrablatt (1921), 26. Juli, 3.
114 Gesetz vom 11.
Juli 1928, LGBl Nr.
1, betreffend die Veranstaltung von Vergnügungen (Wiener
Theatergesetz), §118, 5.
115 Die Kategorisierung als ArtistIn konnte entweder an den Ort des Auftrittes (vorwiegend
Varieté, Revue, Zirkus und Kabarett) gebunden sein oder sich auf die Form des Auftritts (die
Kombination von Musik mit anderen Unterhaltungstätigkeiten wie Gymnastik oder Clow-
nerie) beziehen.
116 Die Internationale Artisten- Organisation wurde in Österreich 1919 als nationale Vertretung
der internationalen Artistengewerkschaft gegründet (Peter, Schaulust, 126 ff.). Sie war sozia-
listisch orientiert und vertrat SchaustellerInnen und ArtistInnen aller Art. Von den Musi-
zierenden vertrat sie „KlavieralleinspielerInnen“ sowie SängerInnen in Arbeitsteilung mit
dem Musikerverband, der diese Gruppen von Musizierenden nicht aufnahm (Internationales
Artisten- Organ (1926), Nr. 4, 4).
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur