Seite - 50 - in Über die Produktion von Tönen - Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
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Davon zeugen auch die unterschiedlichen Kriterien, mit denen Arbeitsgerichte die
Frage nach dem Angestelltencharakter von Musizierenden entschieden. Maßgeblich
waren hier zeitweise allgemeine Anforderungen des Musikerberufes,133 dann wie-
derum das gespielte Musikprogramm,134 die Ausbildung der MusikerInnen 135 oder
der räumliche Kontext, in dem musiziert wurde.136 Andere Akteure interpretierten
die gesetzlichen Vorgaben anders: So wurden in der Volkszählung von 1934, dem
gesetzlichen Unterscheidungskriterium der geistigen Arbeit gemäß, alle (Berufs-)
MusikerInnen entweder als Selbstständige oder als Angestellte geführt.137 1936 wurde
dann zwischen der ständestaatlichen ‚Musikergewerkschaft‘ und dem Verband der
Konzertlokalbesitzer ein Kollektivvertrag abgeschlossen, der MusikerInnen prinzipiell
als Angestellte definierte
– mit zahlreichen Ausnahmen. Nur fallweise beschäftigte
MusikerInnen, ZigeunermusikerInnen, Zither- und LautenspielerInnen, Heuri-
genmusikerInnen und SchrammelsängerInnen ebenso wie „Einzelspieler in jenen
Betrieben, wo es auf eine richtige Wiedergabe (Zeitmass und Tonhöhe) der zu spie-
lenden Stücke nicht ankommt“ 138, wurden von der Anwendung des Angestellten-
gesetzes ausgenommen. Hier scheint vor allem die angenommene niedrige Qualität
der Musik – um es im Sinne des Gesetzes auszudrücken: der fehlende Kunstwert
der Leistungen – ein Kriterium für die Aberkennung des Angestelltenstatus gewe-
sen zu sein. Heurigen- und SchrammelsängerInnen gehörten überhaupt zu einer
Gruppe von Musizierenden, deren Beschäftigung zwar formell arbeitsrechtlichen
Bestimmungen unterlag, die in der Praxis jedoch nur selten eingehalten wurden:
[…] schließen ein mündliches, selten ein schriftliches Übereinkommen ab, in welchem außer
den Gagen und der Spielzeit und sonstigen Benefizien gewöhnlich nichts enthalten ist (z. B.
Krankenversicherung, Kündigung u. a. m.). […] In den meisten Weinhäusern (Heurigen-
schenken) aber, wo täglich Schrammeln engagiert sind, gibt es weder Betriebs- noch sonstige
Verträge, keine Kranken- Unfall- und Pensionsversicherung, kein Stammblatt für Einkom-
mensteuer und oft auch keine Kündigungsfrist […] Die Schrammelmusiker und Sänger
sind dermalen vogelfrei und aller Willkür und Zufälligkeiten dieses Berufes ausgesetzt.139
(Musiklehrerschaftsgesetz), 83. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich, 14.
März
1929, 2520 – 2523, hier 2522.
133 Bundesministerium für Justiz (Hg.), Sammlung. 6. Jahrgang, 112 ff.
134 Ebd., 220 ff.
135 Bundesministerium für Justiz (Hg.), Sammlung. 11. Jahrgang, 151.
136 Bundesministerium für Justiz (Hg.), Sammlung. 13. Jahrgang, 192.
137 Bundesamt für Statistik (Hg.), Ergebnisse. Bundesstaat Textheft, 93; Ders., Ergebnisse.
Bundes staat Tabellenheft, 52.
138 Der österreichische Musiker (1936), Nr. 5 – 6, 82 – 86, hier 83.
139 Oesterreichische Musiker- Zeitung (1925), Nr. 19, 77 – 78, hier 78.
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur