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zeitgenössische musikalische Werke und Auftritte, sondern auch auf Entwicklun-
gen wie etwa die Verbreitung des kommerziellen Notenverkaufs.164 Auch bedurfte
es nicht nur neuer ästhetischer Kategorien, um Kunst durchzusetzen, sondern vor
allem auch veränderter Organisationen.165 Die Trennung von Unterhaltung und
Kunst wurde allerdings in den ersten Jahrzehnten des 19.
Jahrhunderts noch nicht
so strikt praktiziert wie zu Beginn des 20.
Jahrhunderts.166 Nach Sabine Giesbrecht-
Schutte waren vor allem Entwicklungen wie Demokratisierung, soziale Differen-
zierung und Kommerzialisierung im 19.
Jahrhundert dafür verantwortlich, dass sich
Unterhaltungsmusik als eigenständiges Genre – und nicht nur als Überbleibsel
der Kunstmusik – etablieren konnte.167 Dennoch blieben Musizierpraktiken, die
der propagierten Trennung von Kunst und Unterhaltung (oder ernster und leich-
ter Musik etc.) widersprachen, bestehen: Werke der Kunstmusik wurden in leicht
veränderter Form als Unterhaltungsmusik vermarktet. Gelegentlich war es selbst
ExpertInnen nicht mehr klar, ob bestimmte Werke nun zur Kunst- oder zur Unter-
haltungsmusik zu rechnen wären.168 Salonorchester wollten
– auch wegen der zum
Teil klassischen Ausbildung der Mitwirkenden – ernste Musik oder zumindest
Bearbeitungen davon spielen.169
Im Allgemeinen aber setzte sich die Unterscheidung von Kunst und Unterhaltung
durch. Fraglich ist, ob diese Unterscheidung auch eine Hierarchisierung – dort die
‚hohe‘ Kunst, hier die ‚niedere‘ Unterhaltung
– beinhaltete. Während VertreterInnen
der Musikästhetik diese propagierten,170 ist nicht klar, inwieweit die BesucherInnen
von Varietés und Revuen oder die HörerInnen der neuesten Schlager sie für richtig
befunden hätten. Die Teilung in Kunst- und Unterhaltungsmusik wurde jedenfalls
auch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts von verschiedenen Akteuren
164 Weber, Musician, 16.
165 Gebesmair, Erfindung, 86.
166 Giesbrecht- Schutte, Stand, 115.
167 Giesbrecht- Schutte, Stand, 116 ff.
168 Giesbrecht- Schutte, Stand, 129.
169 Schröder, Tanz- und Unterhaltungsmusik, 29.
170 Vgl. Giesbrecht- Schutte, Stand, 119 ff.; Ballstaedt/Widmaier, Salonmusik, 20 ff. Dass diese
Hierarchisierung nicht nur von einigen Fachgelehrten gesehen wurde, sondern durchaus weitere
Teile der Bevölkerung ansprach, zeigen etwa manche Aussagen über Kunst und Nicht- Kunst
seitens der Interessenvertretung der Land- und VolksmusikerInnen. Etwa: „Mit Schwarzer-
Frack- Musik und parfümduftenden Parkettbodengewinsel eines süßlichen Salonquartetts oder
eintönigem Jazz wird man beim Bauern sehr wenig ausrichten
[…] daß der Landbewohner nicht
bloß Klassiker und Musik aus Wagneropern ausgezeichnet verträgt, sondern sogar modernen
Symphonikern gerne Gehör schenke“ (Alpenländische Musiker-
Zeitung (1930), Nr. 1, 8 – 9,
hier 8). Differenzierungen und Konflikte 1918 – 1938 55
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur