Seite - 58 - in Über die Produktion von Tönen - Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
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darstellen. Schon die Frage, welche Musizierende von welchen Organisationen ver-
treten wurden – etwa hier die SängerInnen, dort die MusikerInnen –, verweist auf
Kategorisierungen, die Unterschiede machten. Die Unterscheidung zwischen Musi-
zierformen, die eine schlagkräftige und/oder mitgliederstarke Vertretung besaßen,
und jenen, die über eine marginalisierte oder gar keine Vertretung verfügten, sagt u. a.
etwas über die Legitimität dieser Formen aus. Schließlich wurden manche Konflikte
um die ‚richtige‘ Art, Musik zu machen, auch über diese Organisationen ausgetragen
und so erkennbar gemacht. Diese grundsätzlichen Überlegungen zur Relevanz musi-
kalischer Organisationen sollen aber auch verhindern, dass eine Sozialgeschichte der
Beziehungen zwischen Musizierformen auf eine Sozialgeschichte der musikalischen
Organisationen reduziert wird, wie es bisweilen vorkommt. Das große Ausmaß an
Quellen, die etwa eine Organisation wie die sozialistische Musikergewerkschaft in
Form von behördlichen Eingaben und periodischen Druckwerken produzierte, birgt
die Gefahr, weniger organisierte Musizierformen aufgrund des Mangels an von
ihnen produzierten Materialien im Rückblick als unwichtig erscheinen zu lassen.185
Neben der Verwendung von nicht durch staatliche Behörden oder Organisationen
des Musizierens produzierten Quellen ist daher auch die grundsätzliche Begrenzt-
heit der Perspektive dieser Organisationen zu berücksichtigen. In diesem Kontext
soll die folgende Darstellung der wichtigsten Interessenvertretungen des Musizie-
rens in der Zwischenkriegszeit stehen.
Der österreichische Musikerverband war eine sozialistische 186 Gewerkschaft für
Musizierende, ihr Druckwerk die „Österreichische Musiker- Zeitung“. Erster Vor-
läufer des Musikerverbandes war der 1872 gegründete Wiener Musikerbund, der 1873
wegen angeblicher Übertretung des Wirkungskreises von den Behörden aufgelöst
wurde, bevor er 1874 mit gleichem Personal als Wiener Musikverein (etwas später
wieder Wiener Musikerbund) erneut gegründet wurde. Diese Vorläuferorganisa-
tionen nahmen vor allem in Orchestern spielende Musizierende als Mitglieder auf.
So war etwa im Musikerbund das Spielen eines Orchesterinstruments Voraussetzung
für die Aufnahme, was etwa Klavier-, Gitarre- oder AkkordeonspielerInnen aus-
schloss. Ab 1896 konstituierte sich der überregional tätige Österreichisch- Ungarische
Musikverband in zunehmendem Maße als gewerkschaftliche Organisation. Noch
185 Gänzlich anders verhält es sich etwa mit den lebensgeschichtlichen Erzählungen von Musi-
zierenden: Liest man diese, so müsste man beinahe annehmen, dass weder Musikergewerk-
schaften noch ein staatliches System zur Zertifizierung erwerbsmäßigen Musizierens im
Austrofaschismus jemals existiert hätten.
186 Der Musikerverband deklarierte sich zwar als politisch neutral, bekannte sich allerdings zum
„Idealziele der sozialisierten Weltordnung“ und gehörte dem Verband der freien (d. h. sozia-
listischen) Gewerkschaften an, weshalb er 1934 aufgelöst wurde.
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur