Seite - 66 - in Über die Produktion von Tönen - Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
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Wurde einer Kapelle bzw. ihren Musikern das Glück zuteil, weder den Kontrolloren der
Kapellmeisterunion aufzufallen noch von neidischer lokaler Musikkonkurrenz angezeigt
zu werden, so ergab sich die realistische Chance, den Fesseln der Musikbürokratie zu
entgehen. Mit Sicherheit war das Nichtauffallen für die Freizeitmusiker ein effizienterer
Schutz vor behördlicher Willkür als ihre Vertretung durch den Reichsverband für öster-
reichische Volksmusik.221
Die Durchsetzung des Berechtigungsscheinsystems wird auch deutlich durch
einen Vergleich der Ergebnisse der Volkszählung und der Anzahl der ausgegebe-
nen Musiker berechtigungsscheine für Wien. In Wien wurden zum Zeitpunkt des
Inkrafttretens der Musikerverordnung 1934 zwischen 4.200 und 4.400 Berechti-
gungsscheine ausgegeben,222 was etwa 29 Prozent aller vom Musikerring in Öster-
reich erfassten Musizierenden entspricht. Die Volkszählung von 1934 hingegen weist
in Wien 5.602 Musiker/Musiklehrer/Kapellmeister auf, was etwa 65 Prozent aller
in Österreich erfassten Musizierenden entspricht. Selbst bei Berücksichtigung der
Einbeziehung von MusiklehrerInnen und KapellmeisterInnen wird deutlich, dass
in Wien verhältnismäßig weit mehr hauptberuflich Musizierende tätig waren als in
den Provinzen und dass demgemäß die Einbeziehung auch der Nebenberufs- und
GelegenheitsmusikerInnen auf dem Lande nicht ohne Erfolg geblieben war. Dem
entspricht auch die Aussage des Präsidenten der Musikergewerkschaft, wonach es
1935 in Österreich nur etwa 6.800 BerufsmusikerInnen gegeben hätte.223 Ungeach-
tet dieser Zahlenvergleiche zeigen die verwendeten Kategorien eine weitgehende
Übereinstimmung der Kategorisierenden hinsichtlich des Schemas Beruf an. Jene
Statistiker, die die Volkszählung von 1934 vorbereiteten, sahen sich weitgehend der
Vorstellung verpflichtet, dass Erwerbstätige einen Beruf hätten, der sie hinreichend
charakterisieren würde. Die VerfasserInnen der Musikerverordnung anerkannten
das Bestehen eines Nebeneinanders unterschiedlicher Formen des Unterhalts von
Musizierenden, wollten aber eben durch diese Verordnung eine Privilegierung der
hauptberuflich Musizierenden und damit eine Neufassung des Musizierens als
Hauptberuf durchsetzen.
221 Zwittkovits, Pflege, 457, Hervorhebung im Original.
222 Die Anzahl der Berechtigungsscheine zu diesem Zeitpunkt wurde errechnet durch die Anzahl
aller im Jahre 1934 ausgegebenen Scheine minus des durchschnittlichen Jahreszuwachses an
Berechtigungsscheinen (errechnet aus den Zuwächsen der Jahre 1934 – 1937) (Wiener Stadt-
und Landesarchiv, Magistratsabteilung 104, B11 – MB – Musikerberechtigungen, Indizes
Musikerberechtigungen 1934 – 1937).
223 Louis Fabiankovich, Lebende Musik, in: Der Blaue Adler. Verband zur Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit (Hg.), Theater und Musik rufen euch. Ein Notruf der Kunst und der Künst-
ler, Wien 1935, 33 – 38, hier 35.
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur