Seite - 68 - in Über die Produktion von Tönen - Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
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der Berechtigungsscheine in Wien 1934: Demnach standen 1.034 Musizierende
in ständigem Engagement, 1.158 Musizierende wurden ein- oder mehrmals in der
Woche beschäftigt und etwa 2.000 Musizierende leisteten Einzeldienste.231 Extre-
mer fällt ein Bericht der gewerkschaftlichen Stellenvermittlung über das Jahr 1936
aus: 754 Engagements, die länger als eine Woche dauerten, standen 15.205 fallweisen
Engagements (unter einer Woche) gegenüber.232 Wenn auch berücksichtigt wer-
den muss, dass ein bestimmter Teil an Dauerengagements (etwa in Theatern oder
Orchestern) nur selten durch die gewerkschaftliche Stellenvermittlung abgewickelt
worden sein dürfte, wird hier doch die spezifische Mobilität bzw. Prekarität des
erwerbsmäßigen Musizierens im Vergleich zu anderen Erwerbstätigkeiten sichtbar.
Die Produktion von Zahlen erfasste nicht alle Musizierenden gleichmäßig. Erfasst
wurde vor allem, wer seine Interessen stark vertreten konnte oder wer den Verfas-
serInnen/AuftraggeberInnen einer Erhebung besonders verdächtig war. Ein Bei-
spiel für Ersteres sind die BerufsmusikerInnen. Sie wurden wiederholt gezählt
und in der Volkszählung von 1934 als ‚Musiker an sich‘ gesetzt. Mit den Angaben
zu ihrer Anzahl bzw. deren Verminderung wurden Forderungen nach Gesetzen
untermauert. Im Unterschied dazu wurden etwa über MusikerInnen in Vereinen
nur Angaben von den Interessenvertretungen selbst produziert, eine erschöpfende
Erfassung von außen schien den Aufwand nicht wert. Ein Beispiel für „verdächtige“
Musizierende waren die BettelmusikantInnen in Wien. Dank der Institution der
Bettelmusiklizenzen war die Bundespolizeidirektion jedes Jahr in der Lage, Ansu-
chen und Gewährungen von Lizenzen festzuhalten,233 wenn auch die Anzahl der
unlizenzierten Musizierenden nach zeitgenössischen Angaben die der lizenzierten
überstiegen haben dürfte.234 Unlizenzierte Musizierende wurden bestraft, lizenzierte
Musizierende standen zumindest im Verdacht, ihr Musizieren nur als Vorwand
(etwa für Betteln oder Diebstahl) zu betreiben. Auch geografisch gab es einen star-
ken Fokus der Zahlenproduktion auf Wien, wie etwa die in den Agitationen gegen
mechanische Musik verwendeten Zahlen zeigen. Der/Die Wiener BerufsmusikerIn
wurde immer wieder quantifiziert, der/die nicht- erwerbsmäßig Musizierende hin-
gegen praktisch gar nicht.
Unterschiede in den Kräfteverhältnissen zwischen den verschiedenen Musi-
zierformen sind u. a. an den Entgelten für erwerbsmäßiges Musizieren ersichtlich.
Vor allem für das Musizieren in abhängiger Lohnarbeit liegen brauchbare Infor-
mationen über Entgelte vor, während diese für andere Musizierformen höchstens
231 Der Österreichische Musiker (1935), Nr. 2, 1 f.
232 Der Österreichische Musiker (1937), Nr. 1 – 2, 1 ff., hier 2.
233 Entsprechende Zahlen finden sich in Polizeidirektion Wien (Hg.), Jahrbuch.
234 Illustriertes Wiener Extrablatt (1921), 17. August, 4.
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur