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4.2 Organisation des strukturalen Samples
Im Gegensatz zu Anwendungen anderer
– vor allem inferenzstatistischer
– Metho-
den beruht meine Untersuchung nicht auf einer repräsentativen Stichprobe und
daraus folgenden Rückschlüssen auf eine wie auch immer gedachte Grundgesamt-
heit. Dies hat mehrere Gründe. Zum einen ist es fraglich, ob die Vorstellung einer
Grundgesamtheit von Individuen, die ja immer eine eindeutige Zugehörigkeit
oder Nicht- Zugehörigkeit zur untersuchten Gruppe voraussetzt, dem prinzipiell
unklaren und strittigen Charakter historisch- sozialer Gruppen gerecht wird. Wenn
gerade die Frage, ob ein Individuum zu einer Gruppe gehört oder nicht, zentral
für das Verständnis des untersuchten Phänomens ist, verstellt die – oft juristisch
begründete
– apriorische Definition der Grenzen der Zugehörigkeit den Blick für
dessen Verständnis.10 Ein Zitat aus einem zeitgenössischen Gesetzesentwurf soll
das verdeutlichen:
[…] bezweckt der vorliegende Entwurf in erster Linie Schutz der wirtschaftlichen Inte-
ressen der Musiker, die mehr als jeder andere erwerbende Stand unter dem Dilettantismus
Unberufener zu leiden haben […] Nur die entgeltliche, öffentliche Musikausübung soll
im Sinne des Entwurfes ausschließlich den Musikern vorbehalten sein und dies soll
– von
der Befähigung abgesehen – auch vornehmlich das unterscheidende Merkmal zwischen
Musikern und Dilettanten bleiben 11
Hier wurde eine Grundgesamtheit der MusikerInnen anhand bestimmter Kriterien
(Entgeltlichkeit und Öffentlichkeit der Musikausübung sowie Befähigung zum
Musizieren) definiert und von anderen, den bloßen DilettantInnen, abgegrenzt.
Eine Definition, die – bei vorhandenem Quellenmaterial – durchaus die Ziehung
einer Stichprobe erlauben würde, stünde sie nicht im Konflikt zu anderen zeit-
genössischen Musikerdefinitionen (etwa jener der Land- und Volksmusike rInnen,
die diese Bezeichnung trotz fehlender Entgeltlichkeit des Musizierens für sich in
Anspruch nehmen wollten). Wer ‚wirklich‘ ein/e MusikerIn war und wer nicht, ließe
sich nur definieren, wenn man eine der konfligierenden Perspektiven auf diese Frage
privilegieren und damit den unklaren und umstrittenen Charakter des Phänomens
10 Mejstrik, Ertüchtigung, 757 ff. Vgl. auch Bourdieu, Regeln, 355: „[…] daß die allen Fachleuten
bekannten Schwierigkeiten einer repräsentativen Erhebung nicht durch eines jener willkür-
lichen Dekrete der Ignoranz zu beheben sind, die man Arbeitsdefinitionen nennt (und die sehr
wahrscheinlich bloß die bewußtlose Anwendung einer historischen Definition darstellen).“
11 Antrag der Abgeordneten Müller, Sever, Pick und Genossen vom 18.Oktober 1928 auf ein
Musikergesetz, Beilage Nr. 179/A, 62. Sitzung des Nationalrates, 1.
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur