Seite - 93 - in Über die Produktion von Tönen - Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
Bild der Seite - 93 -
Text der Seite - 93 -
Kunst- Einsätze sind nicht gleichwertig. […] Es gibt einen offiziell-
legitimen Einsatz:
nämlich Kunst persönlich, in ästhetischer Kontemplation zu erleben (und nicht Geschäfte,
Politik, Unterhaltung usw. mit ihr zu machen). Diesen Einsatz erkennen alle Praktiken
an als (Beschäftigung mit) Kunst und nicht als (Beschäftigung mit) Geschäft, Politik usw.
Und diesen einen Einsatz erkennen alle Praktiken als legitime (Beschäftigung mit) Kunst,
ohne deren Legitimität deshalb anerkennen zu müssen. Dieser eine Einsatz muss sich als
(Beschäftigung mit) Kunst nicht verstecken, nicht eigens erklären und nicht rechtferti-
gen
– im Gegensatz, wie wir sehen werden, zu anderen, damit offiziösen oder inoffiziellen
Einsätzen. Je mehr die Beschäftigung mit Kunst eine Sache des persönlichen Erlebens
ist (und nicht des Geschäfts, des Konsums, der Politik usw.), umso dominanter wirkt die
entsprechende Praktik im vorliegenden Kunstfeld.20
Der Begriff der Legitimität bezieht sich nicht ausschließlich (oder gar vorrangig) auf
die rechtliche Bewertung einer Praktik. Ebenso wenig bedeutet er nur ein Abbild
der wirtschaftlichen Macht, die mit unterschiedlichen Praktiken einhergeht. Die
Legitimität einer Praktik bedeutet deren Verständnis als natürliche Gegebenheit,
d. h. als etwas, dessen Existenz in Bezug auf einen Bedeutungszusammenhang wenig
hinterfragt wird. Natürlich geht diese Legitimation meist auch einher mit entspre-
chender rechtlicher und wirtschaftlicher Absicherung, ist aber nicht auf diese redu-
zierbar. Vielmehr steht die Normalität von Musizierformen im Vordergrund, die sich
eben auch an nicht- offiziellen Quellen wie autobiografischen Erzählungen ablesen
lässt. Dieser Zusammenhang von Legitimität und Normalisierung gilt auch für die
Bedeutung statistischer Kennzahlen, wie etwa die oben erwähnte erklärte Varianz
von 42
Prozent über die erste und zweite Dimension. Derartige Zahlen stellen keine
bloße Bewertung der Güte eines statistischen Zusammenhangs dar, sondern sind auch
und vor allem Aussagen über die Struktur des Gegenstands. Soziale Konstellationen,
in denen Definitionen und Bewertungen stark durchgesetzt und Gegenpositionen
über sehr geringe Legitimität verfügen, produzieren klar definiertes Wissen darü-
ber, was in einem Kontext richtig und was falsch ist. Ist hingegen stark umstritten,
was Definitionen und Kategorien bedeuten bzw. welche davon legitim und welche
weniger legitim sind
– wie etwa in den Konflikten um Berufs- und Nichtberufsmu-
siker – dann wird dieses Wissen diffuser. Im ersten Fall ist eine tendenziell höhere
Varianzrate (als Ausdruck klarer Abgrenzungen und Gegensätze) zu erwarten, im
zweiten Fall eine tendenziell niedrigere. Im vorliegenden Fall beträgt die Varianz
der ersten Dimension (Kunst) 34 Prozent, jene der zweiten Dimension (Beruf)
sieben Prozent. Dies korrespondiert mit einer starken Normalität und Legitimität
von Kunst im Untersuchungszeitraum einerseits, und mit starken Konflikten und
20 Mejstrik, Kunstmarkt, 137.
Organisation des strukturalen Samples 93
zurück zum
Buch Über die Produktion von Tönen - Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938"
Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur