Seite - 96 - in Über die Produktion von Tönen - Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
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„künstlerisch“, aber nichts darüber, was diese zu jener Zeit ausmachte bzw. von
anderen Formen des Musizierens unterschied. Was nicht Kunst war, hatte in diesen
Stellungnahmen keinen Platz, und was Kunst war, war in ihrer Perspektive so klar
durchgesetzt, dass es weder gefordert noch verteidigt werden musste. In anderen
Kontexten wurde noch stärker definiert und damit auch verhandelt, gefordert oder
verteidigt, was Kunst war. In Berufsratgebern etwa wurde versucht, genau aufzulis-
ten, welche Eigenschaften einen/eine KünstlerIn ausmachten:
Wer wird Künstler? Der Begabte, ist die einfache Antwort. […] Fertigkeiten und Über-
zeugung
[…] sind meist die geringsten Garantien für Begabung.
[…] Man möchte sagen,
nur zwei Umstände können einen Menschen bestimmen, Künstler zu werden: Verzweif-
lung (weil jede andere Möglichkeit fehlt) oder immenser Überfluss. […] Wie wird man
Künstler?
[…] Studium, Arbeit, Ordnung und das Erlernen der Technik, des Handwerks
einer Kunst sind dabei kaum hoch genug einzuschätzen.2
Hier erschien KünstlerIn- Sein als ein zwar etwas ungewöhnlicher (weil nicht
an eine spezifische Ausbildung geknüpfter), aber letztendlich doch in die Reihe
anderer Tätigkeiten eingliederbarer Beruf und damit als eine Form der Erwerbs-
arbeit, die in ihrer Logik im Wesentlichen nicht von anderen Berufen unterschie-
den wurde. Spezifische Anforderungen und Eigenschaften traten an die Stelle
einer letztlich unbestimmbaren Berufung zur Kunst. Man vergleiche anderer-
seits die folgende Verwendung von Kunst durch einen zu dieser Zeit einfluss-
reichen Musikästhetiker:
Kunst im Allgemeinen und insbesondere Musik
[…] besitzt keinen Handelswert im Sinne
der Börse. Jede geschäftliche Einschätzung widerspricht ihrem Wesen von Grund auf.
[…]
Das Wesen des Beamtentums […] verwirft die Persönlichkeit und fordert das Schema
einer genau bezeichneten Arbeitsleistung. Es widerspricht damit der höchsten Forderung
des Künstlertums nach Freiheit und ungehemmter Entfaltung der Persönlichkeit.3
Kunst als höchst individuelles Tun und Erleben schien nur schwer mit dem Erlernen
vorgegebener Fertigkeiten vereinbar, ebenso wie ihre Ausübung als Erwerbsarbeit
dem Wesen der Kunst bei Paul Bekker widersprach. Hier wurde ein und der-
selbe Begriff mit unterschiedlichen Inhalten versehen, wobei die unterschiedlichen
2 v. d. Gablentz/Mennicke (Hg.), Berufskunde, 375 ff.
3 Bekker, Musikleben, 149. Vgl. auch Flesch, Berufskrankheiten, 198 ff.: „der die Kunst nicht
immer bloß um ihrer selbst willen, sondern vielfach als Gewerbe ausübt, was ja an sich der
reinen Kunstübung widerspricht“.
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Buch Über die Produktion von Tönen - Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938"
Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur