Seite - 97 - in Über die Produktion von Tönen - Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
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Stellungnahmen nicht nur neben-, sondern auch gegeneinander zu verstehen sind:
Was war Kunst ‚wirklich‘ – erlernte Fertigkeiten und Erwerb, oder individuelle
Entfaltung? Oder war gar jede/r (Berufs-)MusikerIn auch ein/e KünstlerIn, wie es
etwa die zeitweise Verwendung des Begriffs Kunst durch die sozialistische Musiker-
gewerkschaft suggerierte?4
Die Durchsetzung bestimmter Antworten auf diese Fragen war nicht nur für das
Selbstverständnis von Musizierenden, die sich als KünstlerInnen verstanden, maß-
geblich. Sie beeinflusste auch wesentlich die rechtliche Organisation des Musizierens.
Unterschiedliche Gesetze, die nur auf manche Formen von Musizieren Anwen-
dung fanden, setzten Kunst als zentrales Unterscheidungsmerkmal voraus. Das 1922
beschlossene Schauspielergesetz 5 (das auch für MusikerInnen Wirkung entfaltete)
galt für Dienstverhältnisse „von Personen, die sich einem Theaterunternehmer zur
Leistung künstlerischer Dienste in einer oder mehreren Kunstgattungen […] bei
der Aufführung von Bühnenwerken verpflichten“.6 Die (Nicht-)Zugehörigkeit
zu dieser Personengruppe konnte durchaus Bedeutung erlangen. Neben einigen
arbeitsrechtlichen Vorteilen des Bühnendienstvertrages wurde etwa auch im 1925
erlassenen Inlandarbeiterschutzgesetz die Möglichkeit verankert, für die im Schau-
spielergesetz definierten Personen Ausnahmen von der Notwendigkeit behördlicher
Bewilligungen für AusländerInnen zu genehmigen, was u. a. für SolodarstellerInnen
und SolosängerInnen auch gemacht wurde.7 Es wurde also davon ausgegangen, dass
Kunst – wie auch immer definiert – für unterschiedliche arbeitsrechtliche Behand-
lungen von Musizieren ein wichtiges Kriterium wäre. Auch in der Frage nach dem
Gewerbecharakter des Musizierens sowie in der Entscheidung, ob eine bestimmte
Art des Musizierens als „höherer Dienst“ gewertet und der/dem Musizierenden
damit Angestelltenstatus zugesprochen wurde, erhielt die jeweilige Stellungnahme
zur Kunst Relevanz. So nahm die Gewerbeordnung von 1859 (deren entsprechender
4 Etwa: „Der Musiker
[…] weiht seiner Kunst“ (Oesterreichische Musiker-
Zeitung (1920), Nr.
8,
74); „…daß der Musiker nicht nur als Musiker, sondern als Künstler und Mensch gewertet
wird“ (Österreichische Musiker- Zeitung (1928), Nr.
6, 32 – 33, hier 33); „…daß
[…] hunderte
und tausende bester Qualitätsmusiker ins Elend getrieben werden und ihre künstlerische
Leistungsfähigkeit einbüßen“ (Musikleben (1932), Nr. 6, 9).
5 Bundesgesetz vom 13. Juli 1922 über den Bühnendienstvertrag (Schauspielergesetz).
6 Bundesgesetz vom 13. Juli 1922 über den Bühnendienstvertrag (Schauspielergesetz), §1, 1).
7 Bundesgesetz vom 19.
Dezember 1925, BGBl Nr.
457, über die zeitweilige Beschränkung der
Beschäftigung ausländischer Arbeiter und Angestellter (Inlandarbeiterschutzgesetz), §15 c);
Verordnung des Bundeskanzlers vom 31.
Dezember 1925, BGBl Nr.
11, betreffend die Gruppen
von Arbeitnehmern, für welche die Vorschriften des Bundesgesetzes vom 19.
Dezember 1925
über die zeitweilige Beschränkung der Beschäftigung ausländischer Arbeiter und Angestellter
keine Anwendung finden, 1) c).
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur