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dazugehörige Ausbildung 14 oder über die Rahmenbedingungen des Musizierens
wie Ort und Bezahlung.15 Wenn auch durchaus unterschiedliche Bedeutungen
von Kunst und KünstlerIn- Sein zur Beurteilung der Sachverhalte herangezogen
wurden, so funktionierten sie im Einzelfall dennoch. Zumindest schienen sie zeit-
genössischen AkteurInnen nicht völlig unverständlich zu sein, also wenigstens
teilweise das, was zu dieser Zeit unter Kunst verstanden wurde, zu treffen. Dem-
entsprechend änderte auch ein Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshofes, in
welchem festgestellt wurde, dass bislang „die mehreren Entscheidungen in den
Gründen zu einer so ganz verschiedenen Würdigung einer im wesentlich gleich-
artigen Musikerleistung“ 16 kamen, nur wenig an der Praxis der Rechtsprechung,
wie die entsprechenden Urteile der Folgejahre zeigen – ein weiterer Beleg für die
hartnäckige Mehrdeutigkeit von Kunst.
So mehrdeutig die Bezüge auf und Verwendungen von Kunst waren, so vielfältig
waren die Konstruktionen derjenigen, die im Kontrast zu den KünstlerInnen standen.
In Bekkers Schrift zum Musikleben wurde der/die KünstlerIn einerseits abgegrenzt
vom Beamtentum als dem Inbegriff des abhängigen Erwerbsverhältnisses, andererseits
in Kontrast zum/zur ‚bloßen‘ UnterhalterIn gestellt.17 Solche Charakterisierungen
wurden weniger als Gegenwartsdiagnose denn als Forderung danach, wie und was
Kunst sein sollte, formuliert. Wer seine musikalischen Tätigkeiten an die Anforde-
rungen von GeldgeberInnen (ArbeitgeberInnen, GönnerInnen und dergleichen)
anpasste, widersprach damit dem Wesen der Kunst. Ein anderer verbreiteter Kon-
trast war jener zwischen KünstlerIn und HandwerkerIn.18 Dieser Kontrast betonte
die schöpferische und geistige Leistung des Künstlers/der Künstlerin im Gegen-
satz zu den rein manuellen Fertigkeiten des Handwerkers/der Handwerkerin und
konnte je nach Verwendung sowohl die Gleichstellung der beiden Typen als auch
den Vorrang künstlerischer Arbeit vor handwerklicher begründen. Eher auf eine
quantitative Differenzierung des Könnens als auf verschiedene Arten von Leistung
gründete die Unterscheidung von KünstlerInnen und LiebhaberInnen bzw. Dilet-
tantInnen: „Die Liebhaberorchester unserer Tage
[…] hüten sich, nach Werken zu
greifen, die dem berufenen Künstlerorchester vorbehalten sind.“ 19 Allerdings wurde
diese Unterscheidung nicht nur verwendet, um ein mehr oder weniger an Können
14 Bundesministerium für Justiz (Hg.), Sammlung. 6. Jahrgang, 156 ff., 220 ff.
15 Bundesministerium für Justiz (Hg.), Sammlung. 8. Jahrgang, 23 ff.
16 Ebd., 261.
17 Bekker, Musikleben, 149 f. Siehe dazu auch Kapitel 2.3.4.
18 Vgl. z. B. Kiener, Kunst.
19 Alpenländische Musiker- Zeitung (1934), Dezember, 3. Zur Geschichte der Konstruktionen
von LiebhaberInnen und DilettantInnen vgl. Pape, Amateurmusiker sowie Sponheuer, Kenner.
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur