Seite - 102 - in Über die Produktion von Tönen - Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
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ob der/die Erzählende bereits als KünstlerIn anerkannt war. Wurde auf eine Art
erzählt, die nicht mit gängigen Praktiken von Kunst vereinbar war, galt der/die
ErzählerIn als UnterhaltungsmusikerIn, DilettantIn oder LiebhaberIn (um bloß die
gängigsten zeitgenössischen Kontraste zur Kunst zu verwenden). Besonders sicht-
bar wurde Kunst als zentrale Referenz an den gescheiterten Versuchen, das eigene
Musizieren positiv darauf zu beziehen. Insgesamt finden sich sowohl bei den Künst-
lerInnen als auch bei jenen, die sich negativ auf Kunst bezogen (vgl. Kapitel 7.4),
nur wenige explizite Bezugnahmen auf die jeweils anderen Formen des Musizierens.
Die Relationen zwischen KünstlerInnen und Nicht-
KünstlerInnen werden vielmehr
in den unterschiedlichen Bezugnahmen auf verschiedene Aspekte des Musizierens
sichtbar. Zur Positionierung als KünstlerIn gehören etwa die Darstellung der eige-
nen Künstlerpersönlichkeit ebenso wie die Situierung des eigenen Musizierens im
Kunstbetrieb und die Charakterisierung der musikalischen Ausbildung als Entfal-
tung persönlichen Talents. Zusammen bildeten diese Erzählpraktiken Musizieren
als Kunst ab, d. h. sie stellten Musizieren in einer Form dar, die im Untersuchungs-
zeitraum gemeinhin mit dem, was Kunst ausmachte, assoziiert wurde. Die in den
autobiografischen Erzählungen konstruierte Kunst ist nicht reduzierbar auf eine der
verschiedenen konkurrierenden Vorstellungen von Kunst in der Musik, die weiter
oben dargestellt wurden. Vielmehr handelt es sich um die Kombination von einer
Vielfalt an Praktiken des Musizierens, auf deren „Kunst- Artigkeit“ sich wohl die
meisten der am Aushandlungsprozess beteiligten Akteure einigen hätten können.
In dieser Vielfalt an Praktiken finden sich Bezugnahmen auf so unterschiedliche
Schemata wie Kunst als „gute“ Musik und Können, Kunst als quasi- religiöse Weihe,
oder Kunst als Erwerbsberuf. Und natürlich konnte
– wie später noch beschrieben
wird – auch als künstlerisch geltendes Musikprogramm von Nicht- KünstlerInnen
gespielt werden oder jemand zum/zur KünstlerIn werden, ohne die dafür vorgese-
hene Ausbildung durchlaufen zu haben. Doch stellen diese Aspekte jeweils nur einen
kleinen Teil des Ensembles an Praktiken dar, die zeigen, wo ein Musizierender/eine
Musizierende sich positionierte. Über das ganze Ensemble an Praktiken, das einen
Musizierenden/eine Musizierende als KünstlerIn charakterisierte, konnte man sich
weitgehend einigen. Hinzugefügt werden muss allerdings, dass es sich in meiner
Untersuchung vor allem um Kunst handelt, die zu ihrer Zeit bereits anerkannt war,
breite Legitimation genoss und in den meisten Fällen auch entsprechend materiell
honoriert wurde. Erzählungen verkannter oder brotloser KünstlerInnen – d. h. der-
jenigen, die ihr Musizieren als Kunst erzählten, ohne es zu ihrem Erwerb/Beruf
machen zu können – fehlen in meiner Aufstellung weitgehend.25
25 Eine derartige Erzählung stellt jene von Ernst Nadherny dar (Nadherny, Erinnerungen), die
zwar im strukturalen Sample verwendet wurde, jedoch bezüglich der zentralen Referenz der
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Musizieren als hohe
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur