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eine nicht ganz so wichtige Rolle einnahmen,40 mag auf den ersten Blick verwun-
dern – scheint es doch klar zu sein, dass Kunst in der Musik zu einem guten Teil
darin besteht, künstlerisch Wertvolles aufzuführen. Es ist jedoch zu beachten, dass
die Bindung des Musikprogramms, das als dem Kunstkanon zugehörig angesehen
wurde, an ‚künstlerische‘ Orte und Akteure im untersuchten Zeitraum nicht durch-
gängig eine große Rolle spielte.41 Während die Unterscheidung von Kunstmusik und
Unterhaltungsmusik spätestens seit dem Ende des 19.
Jahrhunderts große Bedeutung
erhielt, waren Musizierende oftmals nicht eindeutig nur aufgrund der von ihnen
gespielten Musik den Bereichen der Kunst oder der Unterhaltung zuzuordnen. Der
breiten Öffentlichkeit bekannte Teile des Kunstkanons wurden auch in vielen anderen
Kontexten aufgeführt, ebenso wie Musizierende, die sich vornehmlich mit anderem
Musikprogramm beschäftigten, fallweise an Aufführungen in künstlerischen Kon-
texten mitwirkten.42 So spielte etwa Sepp Schwindhackl, einer der Musizierenden
aus dem strukturalen Sample, neben Tanzmusik und der Mitwirkung im örtlichen
Kirchenchor auch Kammermusik.43
Dennoch zeigt der Aufbau der ersten Dimension, dass Unterschiede im Musik-
programm für die Konstruktion von Kunst relevant waren: KünstlerInnen sangen
Opernrollen und/oder spielten Kunstmusik, entsprachen in ihrem Programm also
dem, was gemeinhin als künstlerische Musik angesehen wurde, während die anderen
Tanzmusik spielten. Vor allem kategorisierten KünstlerInnen das von ihnen gespielte
Programm als bestimmten musikalischen Stil, den sie von anderen Stilen abgrenzten:
„Ich habe nie sogenannte ‚Unterhaltungs‘-Musik studiert oder zu analysieren versucht.
Sie fällt nicht in mein Ressort.“ 44 Oder: „At various times the claim has been made
that I have been a ‚comic opera singer‘
[…] It is an assertion of which I might as well
dispose
[…] I have sung only in grand opera.“ 45 Es war maßgeblich, sich von anderen
Musizierenden abzuheben und nicht verdächtigt zu werden, andere Programme als
künstlerische zu spielen. Wurde die Entwicklung vom/von der NichtkünstlerIn zum/
zur KünstlerIn dargestellt, so musste der Gegensatz zwischen diesen Phasen bezüglich
Programm und Stil hervorgehoben werden. In den sich negativ auf Kunst beziehenden
40 Die Varianz der Modalität stilistische Abgrenzung beträgt nur 50 Prozent der wichtigsten
Modalität der Dimension.
41 Zur historischen Erzeugung von Unterschieden zwischen ernster und Unterhaltungsmusik
sowie zur Wiederverwendung von musikalischen Kompositionen in anderen Kontexten siehe
Linke, Materialien.
42 Vgl. Wulz, Handwerker, 201 – 222; Schröder, Tanz- und Unterhaltungsmusik, 29 ff.
43 Vorarlberger Landesarchiv, Musiksammlung, Biographische Sammlung, Sepp Schwindhackl,
Lebenslauf, 3.
44 Schnabel, Pianist, 191.
45 Jeritza, Sunlight, 67, Hervorhebung im Original.
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur