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Erzählungen hingegen wurde nicht immer darauf bestanden, einen bestimmten Stil
und ein bestimmtes Programm zu spielen: Ein/e Amateur- oder VolksmusikerIn
konnte auch an der Aufführung von Kammermusik oder Symphonien teilnehmen,
ohne dadurch die eigene Position infrage zu stellen. Die oben beschriebene Bindung
des musikalischen Programms an eine bestimmte Position war also nur teilweise auf-
gehoben, der Rechtfertigungsdruck in dieser Frage lag auf der Seite der KünstlerInnen.
5.2 Sich schöpferisch entwickeln oder handwerkliche Fertigkeiten lernen
In der Zwischenkriegszeit bestand eine Reihe musikalischer Ausbildungen neben-
und gegeneinander. Unterschiedliche Perspektiven darauf, wozu Musizieren gut sei
–
vom Broterwerb bis hin zur sittlichen Erziehung – führten zu unterschiedlichen
Arten des Lehrens und Lernens von Musizieren. Hatten sich bereits zu Ende des 18.
bzw. Beginn des 19.
Jahrhunderts durch den Aufstieg der bürgerlichen Musikkultur
die Organisationen, in denen Musikausbildung stattfand, vervielfacht,46 so kam es
zu Beginn des 20.
Jahrhunderts sowohl zu Bestrebungen einer Professionalisierung
der Lehrenden als auch zu einer Diversifizierung der Ausbildungsstätten für Pro-
fessionelle und Amateure/Amateurinnen.47
Eine Form der Ausbildung, die im 19.
Jahrhundert stark vertreten war, deren Bedeu-
tung jedoch in der Zwischenkriegszeit bereits zurückging, war die Musiklehre. Das
Handwörterbuch der Arbeitswissenschaft führte diese allerdings noch 1930 als haupt-
sächliche Form der Ausbildung für MusikerInnen an: „Musiker – Berufsbild. […]
Berufsstruktur: 4 bis 5
Jahre Lehrzeit. Es empfiehlt sich, mit besonderer Sorgfalt die
Wahl des Lehrherrn vorzunehmen […] Lehrgeld meist nach Vereinbarung. Unter-
kunft üblich.“ 48 Die Musikergewerkschaften des frühen 20. Jahrhunderts lehnten
die Musiklehre durchwegs ab. Zum einen wurden Missstände bei Ausbildung und
Unterkunft festgestellt und die Ausbeutung der jugendlichen Lehrlinge bemängelt,49
zum anderen wurde das System der Lehre (und damit verbunden der grundsätzliche
Gewerbecharakter von Musik) als den Verhältnissen des Musizierens nicht ange-
messen betrachtet.50 War die Musiklehre (und damit verwandte Ausbildungsformen
46 Lehmann-
Wermser u. a., Ausbildungsstätten, 349 ff.
47 Dies., 352.
48 Schwitzky, Musiker, 3382.
49 Vgl. dazu auch Thielecke, Lage, 50 ff.
50 Vgl. dazu auch ders., 57: „möchte ich hier noch bemerken, dass es nicht wünschenswert ist,
wenn die Lehrlingskapellen einfach der Reichsgewerbeordnung unterstellt würden. Ein
Gewerbebetrieb eignet sich nicht als Ausbildungsstätte für einen Musiker.“
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur