Seite - 120 - in Über die Produktion von Tönen - Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
Bild der Seite - 120 -
Text der Seite - 120 -
und theoriegeleitetes Wissen zu erhalten. Dies stand im Widerspruch zum Bild der
Ausbildung im Verein auf der Seite des negativen Bezugs auf Kunst, wie folgende
zeitgenössische Beschreibung eines Vereinskapellmeisters zeigt:
Das größte Uebel in den meisten Kapellen ist wohl der mangelhafte Unterricht der jungen
Musiker. […] Am meisten gefehlt wird wohl beim Unterricht selbst. […] Viele Lehrer
schreiben ihren Schülern die chromatische Tonleiter auf- und absteigend hin, setzen die
Griffe darunter, zeigen ihnen die verschiedenen Gestalten der Noten und Pausen und
erklären notdürftig deren Wert und ihre Bedeutung. Das ist alles, was sie lernen. Sobald
dies halbwegs geht, wird irgend ein Stück hervorgesucht und darauf losgebüffelt.80
Der Unterricht in den Musikvereinen wurde stark auf das Ziel ausgerichtet, mög-
lichst früh einfache Stücke spielen zu können. Die praktische Anwendung des Wis-
sens war zentral für diese Ausbildung, im Gegensatz zu den Ausbildungspraktiken
der Kunst, die allgemeine und nicht nur für eine spezifische Aufführung bestimmte
Fähigkeiten vermitteln wollten. Maßgeblich war also auch der Zeit- und Handlungs-
horizont, auf den die Ausbildung bezogen war: Privatunterricht, Konservatorium
und Musikschule waren geeignet für langfristige Vorstellungen von einer Musizier-
Karriere, einen musikalischen Lebenslauf, während auf der anderen Seite Musizieren
als unmittelbar im Alltag wirksames Ereignis erzählt wurde.
Neben der Erwähnung der Ausbildungsform finden sich in den positiv auf Kunst
Bezug nehmenden Erzählungen noch andere Strategien der Positionierung. Künst-
lerische Ausbildungen wurden als Unterhalt genutzt – d. h. KünstlerInnen wurden
während der Zeit ihrer Ausbildung finanziell erhalten – und/oder waren kostenlos.
Das zeigt, dass die Erzählenden förderungswürdig waren, dass ihre Begabung offen-
sichtlich groß genug war, um die Beachtung von Gönnern zu finden.
5.3 Die Regeln des Kunstbetriebs einhalten
Der Begriff des Kunstbetriebs bezeichnet hier die Art und Weise, in der als künstle-
risch angesehenes Musizieren organisiert wurde. Dazu gehören der örtliche Rahmen,
die Entlohnung, die Vermittlung von Auftritten usw. Wie Andreas Gebesmair anhand
von Entwicklungen in den USA feststellt, war die Erfindung der Hochkultur nicht
nur an die Entstehung neuer ästhetischer Kategorien gebunden, sondern benötigte
auch spezifische Organisationen, in denen und durch die diese stattfinden konnte.81
80 Alpenländische Musiker- Zeitung (1931), Nr. 15, 165 – 167, hier 165 f.
81 Gebesmair, Erfindung, 86.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO. KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Musizieren als hohe
Kunst120
zurück zum
Buch Über die Produktion von Tönen - Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938"
Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur