Seite - 121 - in Über die Produktion von Tönen - Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
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In diesen Kunstbetrieb involviert zu sein und diesen Kunstbetrieb zu beschreiben,
war ein wesentliches Merkmal von Erzählungen bzw. ErzählerInnen, die sich als
KünstlerInnen positionierten. Im Folgenden werden verschiedene Merkmale und
Mechanismen dieses Kunstbetriebs anhand der wichtigsten Modalitäten der ersten
Dimension (siehe Abbildung 16) beschrieben.
Ein Aspekt der Beschreibung des Kunstbetriebes war die Entlohnung für musi-
kalische Auftritte. Folgt man zeitgenössischen Perspektiven auf Kunst wie jener von
Paul Bekker, die weiter oben zitiert wurde, so scheint es widersinnig, Kunst über
materielle Entgelte zu charakterisieren. Hatte nicht Kunst „keinen Handelswert im
Sinne der Börse“, und entehrte nicht das bloße Reden über Geld die geweihte Kunst?
Doch es zeigt sich, dass für die sich positiv auf Kunst beziehenden Musizierenden
Kunst durchaus auch eine Frage des Materiellen war. Vom eigenen Musizieren leben
zu können und das eigene Musizieren als Arbeit zu betreiben, waren wichtige Kri-
terien für die Zugehörigkeit zu den KünstlerInnen.
Dass Kunst als Lebensunterhalt überhaupt eine Möglichkeit darstellte, war das
Ergebnis spezifischer historischer Verhältnisse. Die Nutzung von Kunstmusik als
Repräsentations- und Abgrenzungsmechanismus durch das Bürgertum seit dem
frühen 18. Jahrhundert, die Verdrängung von AmateurInnen durch Berufskünstle-
rInnen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts und die zunehmende staatliche Förde-
rung von musikalischer Kunst seit Mitte/Ende des 19.
Jahrhunderts stellen wichtige
Entwicklungen auf dem Weg hin zu einer musikalischen Kunst, von der eine nicht
unbedeutende Gruppe leben konnte, dar. Doch mit dem Praktizieren von Kunst
als Arbeit, Erwerb, Beruf etc. gerieten KünstlerInnen in Opposition zu anderen
Musizierformen wie etwa der Volkskunst, die im Untersuchungszeitraum das
– im
Sinne von Idealismus – „ideale“ Musizieren für sich beanspruchte.82 Dementspre-
chend wurde in den Erzählungen, die sich negativ auf Kunst bezogen, auch keine
Bezahlung erwähnt. Vorstellungen von Kunst, die sich rein auf Ästhetik und den
Drang nach künstlerischer Entwicklung konzentrieren, greifen hier zu kurz: In die-
ser scheinbar verkehrten Welt waren es gerade die KünstlerInnen, die Materielles
thematisierten, während die sich negativ auf Kunst beziehenden Erzählenden stolz
darauf waren, dies nicht zu tun.
Wichtig für die Erzählung von Kunst als Lebensunterhalt war etwa die Erwäh-
nung eines Vertrages. Die Beschreibung eines Vertrags und der darin enthaltenen
82 Vgl. z. B. folgende Selbstbeschreibung einer Interessenvertretung der Land- und Volksmusi-
ker: „Wie jeder Mensch Berechtigung zum Leben hat, haben auch wir Nichtberufsmusiker
Berechtigung das hohe, hehre Gottesgeschenk, die Musik, auszuüben. Uns ist es gewiß nicht
darum zu tun, aus der Musik Geld zu machen, unsere Freude ist es, die edle Kunst zu pflegen.“
(Alpenländische Musiker- Zeitung (1931), Nr. 4, 47, Hervorhebungen im Original).
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur