Seite - 127 - in Über die Produktion von Tönen - Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
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Beleg dafür, dass man das Musizieren wichtig nahm. Wo ganz Europa bzw. selbst
Nord- und Südamerika als potenzielle Musizierorte in Erwägung gezogen wurden,
mussten andere Bedürfnisse (etwa nach Heimat oder Ruhe) hintangestellt werden.
Auftritte im Ausland fanden nicht nur über langfristige Anstellungen statt, son-
dern auch im Rahmen von Tourneen und Gastspielen. Diese Bezeichnungen cha-
rakterisierten spezifisch künstlerische Weisen der Bewegung zwischen Orten: nicht
bloßes Umherziehen oder -wandern mit spontanen Auftritten an verschiedenen
Orten, sondern das Musizieren im Rahmen eines zuvor festgelegten Tourneeplans,
in zuvor organisierten Einrichtungen, abgesichert durch Verträge und vereinbart
von AgentInnen. Dazu kamen Musikfeste, die durch die Nennung von mehr als
drei einmaligen Auftrittten charakterisiert wurden. Dieses im Kunstbetrieb norma-
lisierte Herumziehen wurde in den Lebensgeschichten als Ausdruck künstlerischer
Anerkennung beschrieben:
Mein erster Aufenthalt in Berlin […] gab auch meiner künstlerischen Laufbahn einen
verheißungsvollen Auftrieb. […] Nach Wien zurückgekehrt, wurde ich behandelt, als
hätte ich die Welt umsegelt. Ich suchte Leschetizky auf, und auch er behandelte mich
nun wie jemanden, der endgültig flügge geworden war. Ich war nicht mehr der Schüler,
sondern ein Gast und Freund.90
Ebenso beschrieb Lotte Lehmann ihren „Aufstieg“ über ihre zunehmende geo-
grafische Mobilität: von der ersten Stelle an einem Theater in einer anderen Stadt
zur ersten Stelle an einer renommierten Oper im Ausland bis hin zu einer schnell
wechselnden Abfolge von Gastspielen und Tourneen, als sie sich „an keine Oper
mehr dauernd binden“ 91 wollte.
Demgegenüber blieben die Erzählenden der dominierten Seite an einem Ort. Sie
hatten nicht nur keine Auftritte im Ausland, sondern auch keine Auftritte außer-
halb ihres Geburtsbundeslandes. Dementsprechend anders war auch der Bezugsrah-
men, in dem Anerkennung gesucht wurde. So konstatierte Konrad Bergmann: „Der
Durchbruch war gelungen! Wir wußten, daß wir im Bezirk Voitsberg als durchaus
ernstzunehmende Musikkapelle registriert waren!“ 92 Diese eingeschränkte Mobilität
wurde aber nicht nur als Mangel verstanden, sondern konnte auch positiv die Ver-
wurzelung in einer lokalen Gemeinschaft begründen: Im und für das eigene Dorf
Musik zu machen, anstatt in fremden Städten vor fremdem Publikum zu musizieren,
90 Schnabel, Pianist, 52.
91 Lehmann, Anfang, 235.
92 Bergmann, Leben, 57.
Der Gegensatz von Mobilität und örtlichem Verharren 127
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur