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liegt. Daher sind auch für den internationalen Fernreisever-
kehr nur sehr geringe Minderungen der Treibhausgasemis-
sionen aus dieser Maßnahme zu erwarten. Die tatsächliche
Minderung der Treibhausgasemissionen, auch bei bereits
existierenden freiwilligen Kompensationsangeboten, hängt
zudem stark von der Effizienz der Kompensationsmaßnahmen
ab und erfordert robuste Kriterien zur Zertifizierung poten-
zieller Kompensationsprojekte (Cames et al. 2016; Warnecke
et al. 2019). Daten zum Anteil der bereits heute freiwillig von
Fluggästen bezahlten CO2-Kompensationen liegen nicht vor.
Die Wirkung der bestehenden Einbindung innereuropäi-
scher Flüge in das EU-ETS auf Flugpreise und Emissionen
kann als gering betrachtet werden. Zum einen sind die ange-
setzten Emissionsobergrenzen für den Sektor mit einer sta-
tischen Reduzierung von −5 % gegenüber dem Durchschnitt
von 2004 bis 2006 wenig ambitioniert, zum anderen werden
derzeit 82 % der Emissionszertifikate frei ausgegeben. Durch
das gleichzeitige Überangebot von CO2-Zertifikaten im EU-
ETS konnte zunächst keine signifikante Minderung an Emis-
sionen des Luftverkehrs beobachtet werden (T&E 2016). Der
Preis der ETS-CO2-Zertifikate hat sich zwar seit Beginn des
Jahres 2018 bis zu seinem bisherigen Höchststand im Juli
2019 von ca. 9 auf 29 € pro Tonne CO2 mehr als verdreifacht
(finanzen.net 2019), er liegt damit allerdings weiterhin deut-
lich unter den geschätzten Kosten, die zur Erreichung der
Pariser Klimaziele notwendig wären, wie am folgenden Bei-
spiel demonstriert wird. Beim Preisstand von 29 € würden für
einen Hin- und Rückflug von Frankfurt nach Wien ca. 4,75 €
für ETS-Zertifikate anfallen, wenn diese voll bezahlt werden
müssten, bzw. 0,71 € unter der Annahme von 85 % freien
Zertifikaten (bei angenommenen 0,164 Tonnen CO2-Emis-
sionen; Climate Austria und BMNT o.J.). Im Vergleich dazu
errechnet der Kompensationsrechner von Climate Austria und
BMNT mit 7 € etwa das 1,5-Fache bzw. 10-Fache an notwen-
digen Kompensationszahlungen für Klimaschutzprojekte.
Zur Erreichung der Emissionsziele können alternative Kraft-
stoffe auf Basis von Biomasse sowie Power-to-Liquid-(PTL-)
Kerosin auf Basis von erneuerbarem Strom eingesetzt werden.
Bisher ist deren Marktdurchdringung aufgrund hoher Produk-
tionskosten noch sehr gering. Ein umfassender Einsatz dieser
alternativen Kraftstoffe in der Zukunft erfordert einen massiven
Ausbau an Produktionskapazitäten in Konkurrenz zu anderen
Sektoren, insbesondere dem Straßengüterverkehr. Hierbei er-
geben sich Probleme der Verfügbarkeit nachhaltig produzier-
barer Biomasse und steigender Preise, sodass die Kosten für
alternative Kraftstoffe wesentlich höher sind als die Kosten für
andere Minderungsmaßnahmen, z. B. Kompensationskosten
(de Jong et al. 2017; Prussi et al. 2019), und ohne umfassende
Subventionen nur eine geringe Reduktion der Treibhausgas-
emissionen erreicht werden kann (Peters et al. 2017).
Für den Tourismus bedeutet dies, dass es mittel- bis lang-
fristig zur Erreichung der Klimaziele im Luftverkehr zu
einer deutlichen Verteuerung der An- und Abreise mit dem Flugzeug kommen wird, um die Kosten für notwendige Kom-
pensationen, alternative Kraftstoffe oder neue Flugzeugtech-
nologien zu decken.
3.2.7 Automatisiertes Fahren
Eine weitere für die Tourismusmobilität bedeutsame Entwick-
lung ist das automatisierte Fahren, unter dem hier Nutzungen
von Fahrzeugen mit unterschiedlichen Ausprägungen der Au-
tomatisierung, von teilautomatisierten Funktionen zur Unter-
stützung von Fahrern bis hin zu hoch- und vollautomatisier-
tem und autonomem Fahrbetrieb, verstanden wird. Vor allem
hochautomatisiertes und autonomes Fahren kann langfristig
zu Veränderungen im Mobilitätsverhalten sowohl bei Anreise
als auch Mobilität vor Ort führen (Cohen und Hopkins 2019;
Prideaux und Yin 2019). Einerseits könnten autonome Car-
sharingfahrzeuge oder Minibusse als Zubringer „Shuttles“ und
lokale Verteiler für den Personennahverkehr4 insbesondere für
die „erste und letzte Meile“ und Vor-Ort-Mobilität von Tou-
ristinnen und Touristen den öffentlichen Verkehr kostengüns-
tiger, flexibler und attraktiver gestalten und so einen Modal
Shift vom eigenen Pkw hin zu klimaschonenden Alternativen
bewirken (ERTRAC 2019; Soteropoulos et al. 2019).
Andererseits erhöhen hochautomatisierte und autonome
Fahrzeuge die Attraktivität der Nutzung von Privat-Pkw
gerade auf längeren Strecken wie bei der Anreise zu Tou-
rismusdestinationen. Sie bieten höheren Komfort, Sicherheit
und Nutzbarkeit der Reisezeit als derzeitige Fahrzeuge bei
gleichzeitiger Wahrung der Privatsphäre und Möglichkeit des
Transports größeren Gepäcks und erlauben individuelle Mo-
bilität auch bis ins hohe Alter. Alle derzeitigen verfügbaren
Modellrechnungen gehen daher davon aus, dass sich durch
die Automatisierung die Verkehrsleistung im motorisierten
Individualverkehr ohne eine entsprechende staatliche Regu-
lierung weiter erhöhen wird (siehe z. B. Mliakis et al. 2017;
Soteropoulos et al. 2019). Dieses betrifft entsprechend auch
die Tourismusmobilität. Nur im Falle einer gleichzeitigen
Umstellung auf nichtfossile Antriebe, die durch autonome
elektrische Sharingfahrzeuge beschleunigt werden könnte
(Jones und Leibowicz 2019), ließen sich Reduktionen bei
Treibhausgasemissionen erreichen, wobei noch erheblicher
Forschungsbedarf über das Ausmaß der Einsparpotenziale
besteht (May et al. 2018).
Dezidierte Abschätzungen der Folgen des automatisierten
Fahrens für die Tourismusmobilität liegen derzeit für Ös-
terreich nicht vor. Cohen und Hopkins (2019) zeigen die
Vielfalt denkbarer Einsatzformen autonomer und vernetzter
4 Zur Erprobung dieser Technologien werden derzeit sowohl interna-
tional als auch in unterschiedlichen Gebieten Österreichs Pilotprojekte,
wie z. B. „Digibus® Austria“ und „auto.Bus Seestadt“, durchgeführt
(BMVIT 2018).
Allgemeine Komponenten des touristischen
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Buch Tourismus und Klimawandel"
Tourismus und Klimawandel
- Titel
- Tourismus und Klimawandel
- Autoren
- Ulrike Pröbstl-Haider
- Dagmar Lund-Durlacher
- Marc Olefs
- Franz Prettenthaler
- Verlag
- Springer Spektrum
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-662-61522-5
- Abmessungen
- 21.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 263