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Claudia Märtl
Die sedia gestatoria der Päpste
Eine der berühmtesten Sequenzen in Federico Fellinis Film „Roma“ aus dem Jahr 1972
zeigt etwa zehn Minuten lang eine kirchliche Modenschau, bei der in zunehmend gro-
tesker Übersteigerung Kleidung für Ordensleute und Kleriker präsentiert wird. Am Ende
erscheint in Untersicht der Papst selbst, von dem nur Kopf und Schultern zu sehen sind,
da er hinter einem hoch aufragenden Pult thront. Die ganze Szene ist in Weiß und Gelb,
den heraldischen Farben der Kirche, gehalten, die Beleuchtung von hinten erinnert an das
Fenster, unter dem in der Apsis des Petersdoms der von Gian Lorenzo Bernini gestaltete
Thron des heiligen Petrus schwebt. Das Gesicht des Papst-Darstellers, der eine starke Ähn-
lichkeit mit Pius XII. (1939–1958) besitzt, bleibt völlig unbewegt, während die Straußenfe-
derfächer zu beiden Seiten des Throns in einem Rhythmus schwanken, der die Bewegung
des unmittelbar vorher abgelaufenen Defilees von Bischöfen aufnimmt. Die hysterisch
verzückte Reaktion des Publikums im Film lässt den Zuschauer vor der Leinwand unsicher
werden, ob sich mit der Erscheinung des Papstes der inszenierte Höhepunkt der Moden-
schau oder eine durch Lichteffekte, Weihrauch und Orgelmusik herbeigeführte Vision
manifestiert. Obwohl der Sitz des Papstes im Film unsichtbar und damit undefinierbar
bleibt, evoziert die in der Szene herrschende Ambivalenz von Bewegung und Unbewegt-
heit die Auftritte der Päpste auf der sedia gestatoria, deren Tage allerdings gezählt waren, als
Fellini seinen Film ins Kino brachte.
1 Die neuzeitliche Gestalt der sedia gestatoria:
Bildquellen und erhaltene Tragethrone
Die Suche nach historischen Bildquellen fördert rasch eine erstaunliche Vielzahl an Darstel-
lungen von Päpsten auf der sedia gestatoria zu Tage, die nach der Mitte des 19. Jahrhunderts
entstanden sind. Ihre Hochkonjunktur setzt mit Stichen von Pius IX. (1846–1878) ein und
endet mit Fotografien von Johannes Paul I. (1978). Besonders viele Aufnahmen gibt es von
Pius XII., der zu verschiedenen Gelegenheiten und in unterschiedlicher Kleidung auf dem
päpstlichen Tragethron fotografiert wurde. Spitzenreiter in der Häufigkeit der Abbildung
ist ein von oben im Petersdom aufgenommenes Farbfoto: Pius XII. wird, bekleidet mit dem
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918