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18 Claudia Märtl
päpstlichen mantum und der Tiara, von zwölf sediarii getragen; zu beiden Seiten des Throns
ragen zwei Straußenfederfächer (flabella) empor.21 Im Gegensatz zu Fellinis Film ist die Sze-
nerie nicht von den heraldischen Farben Weiß und Gelb, sondern von Weiß und Rot, den
Farben des Papstes und der römischen Kirche,22 geprägt. Andere Fotos haben mit dem Film
die steile Untersicht auf den Papst gemeinsam, die den Eindruck des erhabenen Thronens
verstärkt, doch lassen viele Aufnahmen auch erkennen, wie Päpste auf der sedia gestatoria
durch lebhafte Gestensprache versuchten, die hieratisch strenge Wirkung zu vermeiden
oder zumindest abzuschwächen. Dazu gehören Filmaufnahmen aus dem letzten Lebensjahr
Pius’ XII., der leutselig in die Runde grüßt,23 ebenso wie Bilder Johannes Pauls I., der sich
mit einem verschmitzten Lächeln oder offen lachend zum Publikum wendet.
Die Gestalt der sedia gestatoria lässt sich anhand der drei erhaltenen Tragethrone,
die heute in einer Abteilung der Vatikanischen Museen im Lateranpalast zu be-
sichtigen sind, für die Zeit seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts gut nachvollzie-
hen. Mit geringfügigen Anpassungen an den Zeitgeschmack entspricht sie jenen
Sesseln, die aus den Papstporträts der Frühen Neuzeit bekannt sind, für die Raffael
mit Bildnissen Leos X. und Julius’ II. einen überaus erfolgreichen Prototyp schuf.24
Dank einer Ausstellung im Schloss zu Versailles ist die sedia gestatoria Pius’ VII.
(1800–1823) mittlerweile recht häufig im Internet zu finden (Abb. 1),25 gelegent-
lich stößt man dort auch auf die sedia Pius’ IX.,26 und die sedia Leos XIII. (1878–1903)
21 Vgl. die Abb. in der englischsprachigen Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Sedia_gestatoria
(letzter Zugriff: 30.09.2019).
22 Zur Symbolik dieser Farben vgl. Agostino Paravicini Bagliani, Il corpo del papa (Torino 1994),
S. 117–125; (deutsche Übersetzung: ders., Der Leib des Papstes. Eine Theologie der Hinfälligkeit
[München 1997], S. 90–98); ders., Le Chiavi e la Tiara. Immagini e simboli del papato medievale.
Nuova edizione riveduta e aggiornata (Roma 2005), S. 65–67, S. 70 f.
23 Sie wurden in den nach Franz Werfels Roman von Ernst Marischka gedrehten Film „Der verun-
treute Himmel“ integriert, der im Herbst 1958, nur wenige Wochen nach dem Tod Pius’ XII., in
die Kinos kam.
24 Vgl. zu diesen Gemälden und ihrem historischen Kontext: Raffaelo e il ritratto di papa Leone. Per
il restauro del Leone X con due cardinali nella Galleria degli Uffizi (Milano 1996); Jochen Sander
(Hg.), Raffael und das Porträt Julius’ II. Das Bild eines Renaissance-Papstes (Frankfurt a. M. 2013).
25 Vgl. den Katalog: Jacques Charles-Gaffiot, Trônes en majesté. L’Autorité et son symbole (Aus-
stellungskatalog, Paris 2011), S. 312–315; eine Präsentation steht im Netz (www.trones.chateauver-
sailles.fr), eine kurze Erläuterung der sedia Pius’ VII. und eines Straußenfederfächers durch Hélène
Delalex, Konservatorin in Versailles, auf YouTube (https://www.youtube.com/watch?v=KuuMFu-
2diMw [letzter Zugriff: 30.09.2019]). – In dem Film „Il marchese del Grillo“ von Mario Monicelli
(1981) bringt die Hauptfigur, der römische Adlige Onofrio del Grillo, als sediarius Pius’ VII. durch
sein Stolpern die sedia gestatoria während einer Prozession kurz ins Wanken.
26 So etwa auf: www.orbiscatholicussecundus.blogspot.de/2011/05/sedia-gestatoria.html (letzter Zu-
griff: 25.07.2014).
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918