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Die sedia gestatoria der Päpste 21
ten. Daher empfiehlt es sich, einen genaueren Blick auf die Argumentation des Stamm-
vaters der Forschung zur sedia gestatoria zu werfen. José Estefan veröffentlichte im Jahr
1588 eine Abhandlung „Über das Küssen der Füße des römischen Papstes“, der er eine
„Disputation über die Krönung und das Heben oder Tragen des Papstes“ anhängte, mit
der Zielsetzung, diese Zeremonien „gegen die Verleumdung der Häretiker mit vielen Ar-
gumenten und Zeugnissen der Väter sowie der Tradition“ zu verteidigen.30 Er stellte einen
Zusammenhang her zwischen dem Auftritt des Papstes auf der sedia gestatoria und dem
Brauch, neu gewählte Oberhäupter auf die Schultern oder auf Schilde zu heben, den er
aus antiken Schriftstellern wie Tacitus, Ammianus Marcellinus oder Cassiodor belegte,
wobei er betonte, dies sei nicht allein Sitte der Barbaren, sondern ebenso der Römer ge-
wesen. Römische Priester und Vestalinnen hätten darüber hinaus das Vorrecht, auf Wagen
zu fahren, besessen, und speziell die Pontifices hätten über eine sella gestatoria verfügt,
die von lecticarii auf den Schultern getragen worden sei. Dies gehe aus einem sehr alten
Ordo Romanus hervor, wo davon die Rede sei, dass der Pontifex von Diakonen empfan-
gen werde, die ihm aus dem sellarium hülfen. Den Ausdruck sella/sellarium/sellare erklärt
Estefan sodann mit Hilfe eines griechischen Glossars, das ihn als diphros übersetze und
diphrophoroi (Träger) erwähne, womit eine Brücke zu Plutarch geschlagen wird, der di-
phros für sella curulis, den Sitz römischer Magistrate, verwende. Der Pontifex maximus sei
also von Trägern „in einem sellare, das heißt einer erhabenen sella curulis“, durch die Stadt
getragen worden. Estefan ist auch der Meinung, dies könne „durch die Beispiele vieler
Pontifices klar bewiesen“ werden. Als Belege führt er aber lediglich die Päpste Stephan II.
(752–757), Hadrian II. (867–872), Leo VIII. (963–965) und Gregor IX. (1227–1241) an, die
alle getragen worden seien. Die sich andeutende Schwäche der Beweislage fängt der Autor
mit dem Hinweis auf die Weissagung des Propheten Jesaja auf: „so werden sie deine Söhne
in den Armen herbeibringen und deine Töchter auf den Achseln tragen“ (Jesaja 49,22).
Abschließend argumentiert er noch pragmatisch, es sei nötig, den Papst „hoch erhoben
zu tragen, damit er die Völker und ihm anvertrauten Schafe überblicke und sie mit heil-
30 (José Estefan), Iosephi Stephani Valentini episcopi Vestani de osculatione pedum Romani Pon-
tificis ad Sanctissimum Dominum Nostrum Sixtum V. Pontificem Optimum Maximum, adiecta
eiusdem auctoris disputatione de coronatione et levitatione seu portatione papae. Omnia nunc ex
repetita praelectione multis ex partibus locupletata et aucta et ab haereticorum calumniis pluribus
argumentis, patrum testimoniis et traditione defensa (Rom 1588). In der in Venedig 1578 erschie-
nenen Erstauflage hatte Estefan dem Thema De elevatione. Cur Romanus Pontifex humeris deferatur
drei Seiten (fol. 53v–54v) gewidmet, in der zweiten Auflage verwendete er darauf fünf Seiten (S.
170–175). – Der aus Spanien stammende, in der Literatur unter verschiedenen Schreibungen, unter
anderem als Giuseppe Stevani oder Stivani, auftauchende Kleriker war von 1586 bis 1589 Bischof
von Vieste in Apulien; vgl. Ludwig Schmitz-Kallenberg, Hierarchia catholica medii et recentio-
ris aevi, Bd. 3 (Münster 1923), S. 332.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918