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Die sedia gestatoria der Päpste 23
In seiner Begründung für den Gebrauch des Tragethrons folgt Moroni dem Argu-
mentationsgang, den Estefan vorgezeichnet hatte: Keineswegs sei die sedia gestatoria aus
Prunksucht, Eitelkeit und Stolz eingeführt worden, wie die Ketzer behaupteten, sondern es
handle sich um einen Ausdruck der pastoralen Pflichten des Papstes, dessen Wachsamkeit
auch durch die vielen Augen der Pfauenfederfächer symbolisiert werde; der Papst müsse auf
einem erhabenen Thron getragen werden, um von allen gesehen werden zu können. In der
historischen Herleitung versucht Moroni, über Estefan hinauszugelangen, indem er zum
Teil die schon von diesem genannten Quellen ausführlicher oder nach anderen Drucken
zitiert, zum Teil auch die Beispiele vermehrt. So geht er auf die im Petersdom aufbewahrte
Cathedra Petri ein, die er mit dem von Estefan bei Ennodius von Pavia im 5. Jahrhundert
entdeckten Ausdruck gestatoria sella apostolicae confessionis in Beziehung setzt, gibt früh-
mittelalterlichen Quellen aus dem fränkischen und angelsächsischen Raum mehr Platz als
Estefan und bringt neben antiken Amtsträgern noch den Kaiser von China als Parallelfall.
Den Übergang zum Mittelalter ab dem 8. Jahrhundert verschleiert Moroni ähnlich, wie es
Estefan getan hatte. Das nach dessen Vorbild zitierte Beispiel Stephans II. führt bei ihm
zu der raschen Überleitung, somit scheine es, als ob es sich mit diesem Papst eingebürgert
habe, den Papst bei seinem Amtsantritt zu tragen, und zu Estefans Beispielen Hadrian II.,
Leo VIII. und Gregor IX. bemerkt er nur summarisch, sie seien schon von seinem Vorgän-
ger behandelt worden.35 Dann macht Moroni einen großen Sprung in das 15. Jahrhundert
und nennt als nächsten Papst, der eine sedia gestatoria benutzte, Pius II. (1458–1464), worauf
er eine ansehnliche Reihe von Päpsten des ausgehenden 15. Jahrhunderts und der Frühen
Neuzeit folgen lässt, die zumindest bei ihren Krönungsfeierlichkeiten getragen wurden.
4 Methodische Probleme der historischen Herleitung
Estefans und Moronis bis heute nachwirkende Konstruktion einer in die Antike zurück-
reichenden kontinuierlichen Verwendung der päpstlichen sedia gestatoria ist im Hinblick
auf die historische Quellenkritik mangelhaft. Teils hat Estefan bei seiner Suche nach frü-
hen Formen der sedia gestatoria sich einige Verwirrung zuschulden kommen lassen, teils
haben die Fortschritte der Forschung seine und Moronis Prämissen in Frage gestellt. Nicht
bestritten sei, dass es in der christlichen Spätantike üblich gewesen sein mag, Bischöfe bei
ihrem Antritt zu tragen. Auch hat es mobile Bischofsthrone gegeben, doch dienten diese
zur Ausstattung von Räumen, nicht zum Tragen von Personen.36 Die in Sankt Peter aufbe-
35 Ebenda, S. 199.
36 Zur Verwendung von beweglichen Bischofssitzen in Spätantike und Mittelalter vgl. Nikolaus
Gussone, Thron und Inthronisation des Papstes von den Anfängen bis zum 12. Jahrhundert. Zur
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918