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Die sedia gestatoria der Päpste 25
tatoria im neuzeitlichen Sinn getragen wurden; Aufgabe der Diakone war es gewiss auch,
ihrem eintreffenden Oberhirten aus einer Sänfte oder aus dem Sattel zu helfen.
In terminologischer und methodischer Hinsicht stellte Moronis Unterscheidung einer
sedia pontificale gestatoria von anderen päpstlichen Transportmitteln einen wichtigen Fort-
schritt dar. Das Alter und der Gesundheitszustand vieler Päpste machten es wahrscheinlich
das ganze Mittelalter hindurch nötig, ihre Fortbewegung mit Hilfe von Wagen, Tragsesseln
oder Bahren zu organisieren. Die Zeitgenossen hielten derlei Alltagsprobleme, die überdies
nicht allein auf die Päpste beschränkt waren, selten für erwähnenswert; dass beispielsweise
Bonifaz VIII. (1294–1303) für seine Reisen im Kirchenstaat einen Wagen mitführte, erfährt
man nur aus seinen Rechnungen.41 Es liegt auf der Hand, dass es nicht angeht, unter Miss-
achtung des konkreten Zusammenhangs alle Hinweise auf Tragsessel oder Bahren unter
sedia gestatoria zu subsumieren. Aus dem 19. Jahrhundert haben sich auch päpstliche por-
tantine erhalten; sie ähneln Kabinen und wurden von zwei Männern, jedoch nicht auf den
Schultern, sondern mit ausgestreckten Armen, getragen.42 Der von Moroni nicht weiter
ausgeführte Unterschied dieser Tragsessel zum feierlichen Tragethron ist augenfällig. Die
sedia gestatoria, deren Auftreten im päpstlichen Zeremoniell hier allein interessiert, kam in
symbolisch höchst aufgeladenen Situationen zum Einsatz, in denen Rang und Autorität
des Papstes inszeniert werden mussten. Anlässe hierzu ergaben sich bei den Feierlichkeiten
seines Antritts, bei Treffen mit weltlichen Herrschern, beim Empfang des Papstes während
seiner Reisen und nicht zuletzt auch bei herausragenden liturgischen Gelegenheiten, ins-
besondere solchen, die mit Prozessionen verbunden waren. Seit wann lässt sich der päpst-
liche Tragethron in diesen Kontexten nachweisen?
5 Die fehlgeleitete Suche nach einer mittelalterlichen Kontinuität
der sedia gestatoria
Von den bei Estefan und Moroni angeführten Belegen für eine frühe Verwendung der sedia
gestatoria bleiben allein jene bestehen, die sich auf das Zeremoniell des päpstlichen Amtsan-
41 Zwei Beispiele des 13. Jahrhunderts nennt bereits Moroni 1846 (wie Anm. 13), S. 150; zu Bo-
nifaz VIII. vgl. Agostino Paravicini Bagliani, La mobilità della corte papale nel secolo XIII.
In: Sandro Carocci (Hg.), Itineranza pontificia. La mobilità della curia papale nel Lazio (secoli
XII–XIII) (Nuovi studi storici 61, Roma 2003), S. 3–78, hier S. 41 f. Worauf sich die bisweilen zu
findende Behauptung (vgl. Levillain 1994 [wie Anm. 9] und Berthod/Blanchard 2001 [wie
Anm. 9]) gründet, die sedia gestatoria lasse sich in der Zeit des Papsttums in Avignon erstmals
nachweisen, ist unklar.
42 Zu neuzeitlichen portantine vgl. Berthod/Blanchard 2001 (wie Anm. 9), S. 282 f.; Charles-
Gaffiot 2011 (wie Anm. 5), S. 226 mit fig. 173, S. 316 f.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918