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26 Claudia Märtl
tritts beziehen. Die beiden Autoren verfolgen jedoch nicht nur das Anliegen, die sedia gesta-
toria möglichst weit zurückzudatieren, sie wollen auch beweisen, dass diese das ganze Mit-
telalter hindurch in Gebrauch war. Die Konstruktion einer kontinuierlichen Verwendung
des päpstlichen Tragethrons von der Spätantike bis ins 15. Jahrhundert steht und fällt mit
den von ihnen angeführten mittelalterlichen Beispielen. Hervorzuheben ist, dass auch Mo-
roni nicht mehr als vier Beispiele bringt und dass er für diese keine anderen als die bereits
bei Estefan auftretenden Quellen nennt, obwohl er sich sonst sichtlich um eine Verbreite-
rung und Aktualisierung der Literaturbasis bemüht. Estefan gebraucht nur bei den ersten
beiden Belegen Synonyme für „tragen“, für Stephan II. deferre, für Hadrian II. deportare;
beim dritten und vierten Beleg für Leo VIII. und Gregor IX. benutzt er hingegen „führen“
(ducere).43 Der Beweis einer Kontinuität erschöpft sich daher in den ersten beiden Zitaten,
denn die anderen Beispiele belegen nur, dass diese Päpste im Rahmen ihrer Antrittsfeier-
lichkeiten durch die Stadt zogen; auf welche Weise sie dies taten, wird nicht gesagt. Der
Versuch, den Sachverhalt anhand der heute gültigen Editionslage nachzuprüfen, führt zu
einem interessanten Ergebnis. Estefans Quelle für Stephan II., das Buch der Papstviten von
Platina, und dessen Vorlage, die Vita Stephans II. im Liber pontificalis, verwenden zwar
nicht deferre, wohl aber dessen Synonym deportare, das sich auch in der Vita Stephans III.
(768–772) findet und bei Hadrian II. noch einmal auftritt.44 Diese aus dem 8. und 9. Jahr-
hundert stammenden Lebensbeschreibungen stehen mit ihrer Wortwahl allerdings allein.
Die Autoren der Papstviten des 7. bis 9. Jahrhunderts sprechen sonst des Öfteren davon,
dass ein gewählter Kandidat „in den Bischofssitz des Lateran (ein)geführt“ worden sei, und
bisweilen teilen sie mit, dass der Gewählte „mit Gewalt“ seinem neuen Amt zugeführt wer-
den musste,45 da er sich aus löblicher Demut sträubte. In einem Fall wird deutlich, dass der
Betreffende jedenfalls nicht getragen wurde; er wurde vielmehr auf das Pferd gesetzt, das
seinem Vorgänger gedient hatte, und vom Lateran nach Santa Maria Maggiore „geführt“.46
Von einer „Erhebung“ auf den apostolischen Stuhl ist erstmals bei Paschal I. (817–824) die
43 Estefan 1588 (wie Anm. 10), S. 174 f.
44 Platynae historici Liber de vita Christi ac omnium pontificum (aa.1–1474), hg. von Giacinto Gaida
(Rerum Italicarum Scriptores2; III,1, Città di Castello 1913–1932), S. 129; Louis Duchesne (Hg.),
Le Liber pontificalis, 2 Bde. (Paris 1886–1892), Bd. 1, S. 440 und 471. Zu den „Wahlberichten“ der
Viten des 8. und 9. Jahrhunderts vgl. Gussone 1978 (wie Anm. 16), S. 172 ff.; zur Entwicklung der
Papsterhebung im Mittelalter vgl. die Synthese mit den wichtigsten Quellenbelegen bei Paravi-
cini Bagliani 2013 (wie Anm. 16), hier im Besonderen S. 82–85.
45 Duchesne (1886–1892) (wie Anm. 24), Bd. 1, S. 366, 371, 468, 470 und Bd. 2, S. 49, 87, 107 usw.
Vgl. Gussone 1978 (wie Anm. 16), S. 174 f.
46 Duchesne (1886–1892) (wie Anm. 24), Bd. 2, S. 143 f. zu Benedikt III. (855–858): „[…] eum super
equum ovantes quem Leo praesul sedere consueverat posuerunt. Quem etiam magna populi praecedente
caterva in basilica Dei genitricis quae Praesepe dicitur deduxerunt.“
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918