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Die sedia gestatoria der Päpste 29
gegen seine Kandidatur instrumentalisiert. Den Krönungsumzug zum Lateran absolvierte
er am 3. September 1458 in herkömmlicher Weise hoch zu Ross, und es blieb ihm angesichts
der laut gewordenen Bedenken gegen seine physische Leistungsfähigkeit auch gar nichts
anderes übrig. Als er im Januar 1459 zu dem von ihm in Mantua einberufenen Kongress auf-
brach, bedurfte seine zeremonielle Einholung an den Stationen des Reisewegs sorgfältiger
Planung, da es sich jeweils um den ersten adventus des neu gewählten Pontifex handelte.
Einem verbreiteten Brauch entsprechend erhoben bei solchen Gelegenheiten bestimmte
Personen oder Personengruppen Anspruch auf das Pferd und/oder den Baldachin, mit dem
der Gast einritt, was zwar meist durch Geldzahlungen abgegolten wurde, doch in der Si-
tuation des Empfangs zunächst Unruhe schuf und oft sogar zu handfesten Auseinander-
setzungen führte. Ebendies geschah bei einer der ersten Etappen, sodass der Papst beschloss,
fortan zumindest nicht mehr auf einem Pferd einzuziehen, da der Streit um das Reittier
ihn selbst in Gefahr bringen konnte. Dazu kam, dass ihm seine Gicht verstärkt zu schaffen
machte. So ließ er sich jetzt auf dem mitgeführten päpstlichen Thron in die Städte tragen.
Vor Florenz wurde deutlich, dass diese Art des Einzugs mit eigenen politischen und zere-
moniellen Problemen verbunden war. Aufgrund der Rivalität zwischen Florenz und Siena,
der Heimat des Papstes, war dieser adventus von vornherein eine diplomatisch sehr sensible
Angelegenheit. Zudem hielten sich einige der Lehensleute der römischen Kirche aus der
Romagna, die den Papst nach Mantua begleiten wollten, und der Sohn des mailändischen
Herzogs, der ihn im Namen seines Vaters begrüßen sollte, bereits in der Stadt auf. Florenz
war zwar nominell noch republikanisch verfasst, doch bestimmte der im Hintergrund agie-
rende Cosimo de’ Medici die Richtlinien der florentinischen Politik. Da Florenz 1419/20 als
Station eines mehrmonatigen päpstlichen Aufenthalts und von 1439 bis 1443 als dauerhafte
Residenz der Kurie gedient hatte, besaßen die Florentiner durchaus Erfahrung mit dem ku-
rialen Zeremoniell. Gemäß der Tradition hätte bei einem Einzug des Papstes zu Pferd der
wichtigste in Florenz anwesende weltliche Machthaber das Reittier am Zügel führen und
die Steigbügel halten müssen. Als Pius II. vor Florenz eintraf, war zum einen unklar, wer
diesen Stratordienst leisten sollte, und zum anderen stellte sich die Frage, wie er kompensiert
werden konnte, wenn der Papst nicht zu Pferd einzog. Für die florentinische Stadtregierung
war das Ansinnen des Papstes, den Tragethron zu verwenden, ungewohnt; um die politi-
schen Relationen der Beteiligten abzubilden, mussten neue Wege gefunden werden. Nach
einem Aushandlungsprozess wurde die sedia gestatoria durch die – teils murrenden – Lehens-
leute der römischen Kirche und durch florentinische Bürger getragen, wobei der Sohn des
mailändischen Herzogs eine kurze Strecke vor ihr schritt und in einer symbolischen Geste
selbst Hand anlegte, als ob er mittrüge. Der Einzug ging mit solcher Geschwindigkeit vor
sich, dass die Mitglieder der florentinischen Stadtregierung zuletzt hinterherlaufen mussten.
Diese Vorgänge schürten auf beiden Seiten Animositäten; die Parteigänger der Medici sahen
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Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918