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Die sedia gestatoria der Päpste 43
9 Die Gestalt der sedia gestatoria in der Frühen Neuzeit
Während auf den Stichen Einzelheiten oft nur schwer zu erkennen sind, ist auf den Fres-
ken Vasaris im Palazzo Vecchio zu Florenz und in der Sala regia im Vatikan die Form des
päpstlichen Sitzes klar dargestellt: Er war von roter Farbe, hatte zwei Armstützen und eine
hohe, über den Kopf des Papstes emporragende Lehne. Spätestens zur Zeit der Entste-
hung der Bilder, um die Mitte des 16. Jahrhunderts, hatte demzufolge der Thron auf der
Plattform bereits die im 19. und 20. Jahrhundert übliche Gestalt eines Sessels nach dem
Vorbild der „Staatsporträts“ der Päpste. Dies verdient deshalb Erwähnung, weil die um ein
halbes Jahrhundert älteren Fresken Pinturicchios in der Libreria Piccolomini einen ande-
ren Eindruck vermitteln. Pinturicchio gilt als ein äußerst genauer Schilderer des kurialen
Zeremoniells, sodass seine Darstellung als Wiedergabe eines historischen Zustandes des
päpstlichen Tragethrons um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert Beachtung verdient.
Die sedia gestatoria wird von Pinturicchio einmal von der Seite, das andere Mal von vorne
dargestellt; bei genauer Betrachtung erweist sich, dass der Maler zwei verschiedene Sitze
desselben Typs gestaltet hat. Der aus Holz gefertigte Thron besteht aus einem Block mit
rechteckigem Grundriss, auf dem der Papst sitzt, und einer damit verbundenen Lehne, die
einen Rückenteil und Seitenwangen aufweist. Deren oberer, zur Sitzfläche hin abgeschräg-
ter Abschluss wird von zwei Voluten begrenzt, die sich in der Szene der Wergverbrennung
gegenläufig, in der Szene in Ancona dagegen beide nach oben einrollen. In der Szene der
Wergverbrennung ist die sedia an der sichtbaren Außenseite mit geschnitzten Reliefs ver-
ziert; auf dem Unterteil sind Putten, auf der Seitenwange ist ein Drache zu erkennen. Bei
Pinturicchio wird also eine Kathedra auf der Plattform getragen,74 wobei für den oberen
Abschluss der Seitenwangen mit gegenläufigen Voluten besonders der Vergleich mit dem
Thron aufschlussreich ist, auf dem die von Arnolfo di Cambio gegossene Bronzestatue
des heiligen Petrus in Sankt Peter sitzt. Es scheint aber, dass die Päpste von dieser symbol-
trächtigen Form75 aus welchen Gründen auch immer schnell Abschied nahmen; vielleicht
wurde eine allzu deutliche Reminiszenz an Petrus angesichts der einsetzenden protestan-
tischen Kritik, die im Kern immer den aktuellen Prunk der Päpste der Armut Christi und
der Apostel gegenüberstellte, als nicht mehr opportun empfunden.
74 Ein ebenfalls in Siena entstandenes Kunstwerk, eine Tavoletta di Biccherna aus dem Jahr 1598, stellt
den Einzug Clemens’ VIII. in Ferrara in diesem Jahr mit einer sedia gestatoria dar, die der von Pin-
turicchio gewählten Gestalt sehr ähnelt. Vgl. die Abb. in Haidacher 1965 (wie Anm. 53), S. 497
und Luigi Borgia u.a., Le Biccherne. Tavole dipinte delle magistrature senesi (secoli XIII–XVIII)
(Roma 1984), S. 288 f. Nr. 124.
75 Vgl. Dresken-Weiland/Drews 2004 (wie Anm. 17), hier bes. Sp. 629–633, Sp. 638–640, Sp.
670 f.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918