Seite - 85 - in Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren - Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
Bild der Seite - 85 -
Text der Seite - 85 -
Tragsessel in der spanischen Monarchie des 16 und 17 Jahrhunderts 85
Betrachten wir die Rolle der Königin im Rahmen des Hofzeremoniells nun etwas nä-
her, so zeigt sich ein Kontrastbild zur traditionellen Vorstellung eines starren, von stren-
ger Disziplin geprägten Hofzeremoniells, hinter dem die Monarchen als Personen zu
verschwinden scheinen.29 Der Gebrauch von Tragstühlen veranschaulicht in deutlicher
Weise, dass wir noch keine ausreichenden Informationen über das königliche Zeremoniell
und seine Entstehung besitzen und dass uns vorgefasste Vorstellungen darüber nur bedingt
weiterhelfen. An einem hohen Mobilitätsgrad der Königin kann kein Zweifel bestehen,
und zum Leidwesen des Duque de Lerma begnügte sich die Monarchin weder auf den
ständigen Reisen, die sie gemeinsam mit ihrem Gemahl zu den verschiedenen Residenzen
in Valladolid, Ventosilla oder Lerma unternahm, noch bei den Stadteinzügen in Kastilien
mit einer marginalen Rolle. Ihr Hofstaat und insbesondere ihr Marstall waren im Lauf
ihres Lebens ständig in Bewegung, in den meisten Fällen, um ihrem Gemahl zu folgen,
in selteneren Fällen aber auch für allein unternommene Lustreisen zu königlichen Resi-
denzen oder für Landausflüge oder Ausgänge innerhalb Madrids. Der ständige Gebrauch
von Vehikeln, seien dies Kutschen oder Tragsessel, steht jedoch auch für die Entstehung
neuer Präsentationsformen für die Königin. Dabei handelt es sich um Phänomene, die in
der bisherigen Forschung zum Bild und zur Außendarstellung der Herrscherinnen unbe-
achtet geblieben sind. Die Verwendung eines Tragsessels signalisierte fortan in allgemein
verständlicher Weise den Auftakt von Schwangerschaften der Königin. Mittels Tragsessel
ließ sich die „frohe Botschaft“ visuell verkünden, und die Monarchin konnte sich als thro-
nende, gut behütete Madonna in Szene setzen. Tragsessel leisteten somit einen wichtigen
Beitrag zur klaren Trennung des Zeremoniells der Königin von jenem, das für den König
Gültigkeit hatte.30
Begleitet wurde die Änderung in der Nutzung von Tragsesseln von entsprechenden Re-
formen im Bereich des Marstalls, wo mit der Einführung von Sesselträgern nun auch eine
neue Dienersparte entstand. In den Quellen tauchen Sesselträger erstmals 1602 auf, als
zwei von ihnen eingestellt wurden. Ihre Zahl erhöhte sich 1603 auf zehn, 1607 weiter auf
zwölf und hielt sich anschließend bis zum Tod Margaretes konstant auf diesem Niveau.31
29 Siehe dazu Ludwig Pfandl, Felipe II. Bosquejo de una vida y de una época (Madrid 1942; Origi-
nalausgabe: Philipp II. Gemälde eines Lebens und einer Zeit [München 1938]), S. 130–167.
30 Zum Hofzeremoniell, zu dessen Änderungen unter der Regentschaft der verschiedenen Könige
und zur Rolle der Vehikel dabei siehe: Alejandro López Álvarez, Some reflections on the ceremo-
nial and image of the kings and queens of the House of Habsburg in the sixteenth and seventeenth
centuries. In: René Vermeir/Dries Raeymaekers/José Eloy Hortal Muñoz (Hg.), A Constella-
tion of Courts. The Courts and Households of Habsburg Europe, 1555–1665 (Avisos de Flandes 15,
Leuven 2014), S. 267–321.
31 José Martínez Millán/Santiago Fernández Conti (Hg.), La monarquía de Felipe II: la casa del
rey, 2 Bde. (Madrid 2005), Bd. 2, S. 938.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918