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Tragsessel in der spanischen Monarchie des 16 und 17 Jahrhunderts 89
Im Vergleich dazu fielen die Fahrzeuge der Franzosen stark ab. Ihre Wagen wiesen of-
fenbar weniger Verzierungen auf und hatten auch kein solch majestätisches Erscheinungs-
bild wie die spanischen Vehikel. Vor allem aber machte sich auf französischer Seite das
Fehlen von Tragsesseln bemerkbar:
Die Franzosen hielten an ihrer Uferseite eine rotsamtene Sänfte mit silbernen Holmen so-
wie ein gute Karosse für die Königin bereit; für alle übrigen standen zwei Karossen, jedoch
keine Sänften zur Verfügung; und als sie übersetzten, wurde ihnen in unangenehmer Weise
bewusst, was sie alles in Spanien zurückließen.39
Unser Berichterstatter betonte bei der Beschreibung des Empfangs der zukünftigen Köni-
gin Frankreichs mit Nachdruck die Unterlegenheit des französischen Hofes hinsichtlich
des Zeremoniells. Besonders deutlich wird dies bei der Schilderung des Höhepunkts des
Aufeinandertreffens, der Verabschiedung der Prinzessinnen:
[…] bei den Damen, die nach Frankreich übersetzten, gab es viele Tränen, und sie weinten
auch mit gutem Grund, denn sobald sie auf der anderen Seite angekommen waren, standen
sie alle herum und wussten weder, in welche Kutschen oder Sänften sie einsteigen sollten,
noch, wer ihnen zu Diensten stehe.40
Quellen wie diese deuten darauf hin, dass schon vor der Erlangung der Königinnenwürde
durch Élisabeth de Bourbon Tragsessel auch in Abwesenheit einer Monarchin eine bedeu-
tende Rolle am Madrider Hof spielten. Das entsprechende Zeremoniell wurde schließlich
während der Regierungszeit ihres Gemahls Philipp IV. geschaffen. Nachrichten, die uns
über eine neuerliche Verwendung von Tragsesseln informieren, stehen in Zusammenhang
mit einer Schwangerschaft der Königin. Einige davon betreffen Instandsetzungsarbeiten
im Jahr 1622.41 Die Königin, die damals vermutete, guter Hoffnung zu sein, ließ sich an-
lässlich einer anstehenden Reise nach Aranjuez im Tragsessel transportieren. Sie benötigte
39 „Tenían los franceses en su orilla para la Reyna una Litera de terciopelo carmesí con pasamanos de plata
y una carroça buena y para las demás dos Carroças y ninguna Litera, y quando passaron allí les pesó
harto de lo que dejaron en España“. Ebenda, fol. 227r.
40 „[…] huvo muchas lágrimas de las señoras que passaron a françia, y con razon lo podían hazer, según lo
que les esperava, porque en acavando de passar se hallaron todas en el campo sin saver en que Coches ni
Literas avían de ir, ni quién ayudasse dellas“. Ebenda, fol. 228r.
41 Die Quellen erwähnen Restaurierungsarbeiten an einem Tragsessel aus Schildpatt sowie an einem
Reisetragsessel. Zudem wurden im Juni und Oktober 1622 für beide Tragsessel neue Vorhänge an-
gefertigt. AGP, Administrativa, Leg. 5985, unfol.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918