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94 Alejandro López Álvarez
Pfalz-Neuburg zu empfangen, erhielt damals folgenden Auftrag, der erneut auf ein in der
Stadt und auf dem Land unterschiedlich zu handhabendes Zeremoniell hindeutet:
Obwohl es in den Städten, durch die die Königin reist, üblich ist, sie mit dem Baldachin
zu empfangen, habe ich aus Kostengründen beschlossen, dass die Einzüge unberitten zu
bestreiten sind, und weise Euch im Voraus darauf hin, dass Ihr bei der Durchreise der
Königin durch eine Stadt oder einen Ort zu Fuß neben ihrer Sänfte oder ihrem Tragsessel
zu gehen habt, wie es auch am Hof Sitte ist, wenn die Königin im Tragsessel ausgeht; dies
betrifft jedoch nur die Ortschaften, denn auf dem Land habt ihr aufgrund des unwegsamen
Geländes (auch wenn die Königin im Tragstuhl reist) Pferde zu verwenden; dies gilt auch
für alle Fälle, in denen sie in der Sänfte reist.53
Wahrscheinlich stand die zu Fuß erfolgende Begleitung des Tragsessels in Zusammenhang
mit Traditionen, die damals bereits am Königshof etabliert waren. Es war dort nämlich
gebräuchlich, Gäste höflichkeitshalber und als Zeichen der Wertschätzung zu Fuß bis zum
Tragsessel zu geleiten.54 Eine am Königshof verbreitete Variante der Begleitung des Trag-
sessels war das Hofieren von Damen, ein Brauch, der zeitlich möglicherweise wesentlich
länger zurückreicht, sich aber erst ab Mitte des 17. Jahrhunderts nachweisen lässt. So be-
schrieb im Juli 1657 Barrionuevo detailliert, wie der König anlässlich einer im Schloss zu
Buen Retiro veranstalteten Naumachie die Königin begleitete:
An jenem Abend und in jener Nacht gab es große Festlichkeiten, und der König begleitete
seine im Tragsessel sitzende Gemahlin zu Fuß. Ihm folgten die Damen, die, ganz außer sich
vor Freude, einander Körbchen und Sträußchen zuwarfen und Seiner Majestät zuriefen:
„Wohin führt uns nur dieser rodrigón, zu Fuß und vor lauter Eile ganz erschöpft?“ (dies war
der Name für Knappen, die man für Feste anheuern konnte). Und sie alle gingen gleichzei-
53 „Aunque se estila que en las ciudades por donde ha de pasar la Reina se le haga el recibimiento con Palio,
he resuelto que por excusar los gastos no haga entrada en público a caballo, previniéndoos que al pasar la
Reina por alguna ciudad u otro lugar, habéis de ir a pie, al lado de la litera o silla en que viniere como
se estila en esta Corte cuando la Reina sale en silla; lo qual debe entenderse dentro de los lugares, porque
en el campo habeis de ir a caballo (aunque camine en silla la Reina) por algunos malos pasos; como
también siempre que fuere en litera“. Adalbert Wittelsbach/Gabriel Maura Gamazo (Duque de
Maura), Documentos inéditos referentes a las postrimerías de la Casa de Austria en España, 4 Bde.
(Madrid 1929–1935), Bd. 1, S. 203.
54 Wiser, der Sekretär der Königin, erwähnte im September 1693 gegenüber dem Kurfürsten von der
Pfalz, dass er Zusammenstöße mit dem kaiserlichen Botschafter Lobkowitz vermeiden wolle und
deshalb einige Tage zuvor dessen Frau bis zum Tragsessel begleitet habe, wie das in Madrid Brauch
sei. Ebenda, Bd. 2, S. 129.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918