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Tragsessel in der spanischen Monarchie des 16 und 17 Jahrhunderts 109
4 2 Tragsessel in Spanien und Amerika im 17 Jahrhundert
Bis Anfang des 17. Jahrhunderts dominierte die Ansicht, Tragsessel seien allein ein Trans-
portmittel für Frauen, Alte und Gebrechliche.98 Diese Einschätzung änderte sich jedoch,
als auch hochrangige Amtsträger am Hof begannen, nach dem Beispiel der Monarchen
Tragsessel zu nutzen, um derart ihren hohen gesellschaftlichen Rang zu betonen. So besaß
etwa der Duque de Lerma mehrere Tragsessel. Einige davon waren sehr aufwendig, andere
hingegen vergleichsweise schlicht gestaltet. Für manche ist dokumentiert, dass er sie als
Geschenk erhalten hatte. Seine Tragsessel waren unterschiedlichen Zwecken gewidmet.
Unter anderem dienten sie dazu, sich ungesehen in den Gängen seines nahe Burgos ge-
legenen Palasts in Lerma fortzubewegen.99 Die Bedeutung seiner Tragsessel bei den 1615
zelebrierten Hochzeiten wurde bereits an anderer Stelle erwähnt. In den Genuss eines
Tragsessels kam auch ein Günstling des Duque de Lerma, Don Rodrigo Calderón, der
damit vom Palast bis in seine Unterkunft befördert wurde, nachdem im September 1604
ein Attentat auf ihn verübt worden war.100 Der portugiesische Schriftsteller und Politiker
Tome Pinheiro da Veiga erachtete Tragsessel als notwendig, um die Schicht der Herrschen-
den deutlich aus der Gruppe der übrigen Personen hervorzuheben, etwa den Conde de
Miranda, Präsident des königlichen Rats von Kastilien, von dem Pinheiro berichtete, dass
er, der entsprechend dem Machtgefüge der Monarchie die zweitwichtigste Position hinter
dem König einnahm, stets Kutsche, Sänfte und Tragsessel hinter sich herbringen ließ.101
98 Die Quellen jener Zeit erwähnen für gewöhnlich, wenn Personen am Hof aufgrund einer Behinde-
rung von Tragsesseln Gebrauch machten. So wurde im Februar 1599 berichtet, dass sich der gichtlei-
dende Duque de Terranova dem Monarchen in einem Tragsessel näherte, um ihm die Hände zu küssen
(„como impedido de su gota […] en la silla que le habian llevado“). Als sich 1601 ein hoher militärischer
Repräsentant anlässlich der Bestätigung von Friedensvereinbarungen zwischen Spanien und Frank-
reich im Tragsessel zur Kirche begab, wurde ebenfalls unterstrichen, dass er unpässlich gewesen sei.
Und als Juan de Borja im Januar 1606 zum Obersthofmeister der Königin ernannt wurde, ist den
Quellen zu entnehmen, dass er wegen eines Gichtleidens an den Beinen im Tragsessel zum Dienst
erschien, um an den Ratssitzungen teilnehmen zu können. Schließlich wurde 1608 erwähnt, dass der
gehörlose Conde de Miranda im Tragsessel nach Alcalá kam, da ihn seine Leiden stark beeinträchtigten
(„muy impedido de sus achaques“). Cabrera de Córdoba 1857 (wie Anm. 20), S. 6, 102, 269 und 332.
99 Luis Cervera Vera, El conjunto palacial de la villa de Lerma (Estudios de Urbanismo, Arqui-
tectura y otras Artes 1, Madrid 1967), S. 375 und 392; Luis Cervera Vera, Bienes muebles en el
palacio ducal de Lerma (Estudios de Urbanismo, Arquitectura y otras Artes 1, Madrid 1967), S.
48 f. und 145 f.
100 Cabrera de Córdoba 1857 (wie Anm. 20), S. 227.
101 Tomé Pinheiro da Veiga, Fastiginia. Vida cotidiana en la Corte de Valladolid, 1605, hg. von
Narciso Alonso Cortés (Valladolid 1973, 1. Auflage 1916), S. 126 f. Siehe dazu auch die Satire von
Bartolomé Leonardo de Argensola, Sátira del incógnito. In: Luis Cortés Vázquez, La vida
estudiantil en la Salamanca clásica (Salamanca 1996), S. 23.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918