Seite - 111 - in Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren - Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
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Tragsessel in der spanischen Monarchie des 16 und 17 Jahrhunderts 111
zahlreichen Bediensteten begleitet, die sie beschützten, gleichzeitig aber auch ihrem Auf-
tritt größeren Glanz verleihen sollten. Auf diese Weise konnten die Damen einerseits vor
aller Augen ihren sozialen Status demonstrieren, andererseits wurden auch ihre Unnah-
barkeit gesteigert und ganz allgemein ihre Rolle im öffentlichen Raum weiter ausgebaut
– Entwicklungen, die sich schon zuvor bei Männern am Hof beobachten ließen. Yelgo de
Vázquez erteilte adeligen Herren die Anweisung, in Kutschen fahrende Damen zu Pferd
zu begleiten. Sollten die Damen aber in einem Tragsessel ausgehen, so sollten die Her-
ren an der Seite des Vehikels zu Fuß mitgehen, um zu verhindern, dass sich jemand dem
Sessel näherte. Bei all dem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass den Frauen auf
diese Weise ein geschlossener Raum vorgegeben wurde, was eine kontinuierliche Überwa-
chungssituation für sie und für jene Personen bedeutete, denen sie unterwegs begegneten.
Hinsichtlich Besuchen gab Yelgo de Vázquez folgende Verhaltensrichtlinien:
[…] der Dame sollen sämtliche Edelleute und Amtsträger vorangehen […]. Empfängt die
Dame Besuch, so dürfen sie keinen Schritt vor das Haus setzen, sondern müssen warten,
bis die Damen, die ihrer Herrin einen Besuch abstatten, wieder gehen. Beim Verlassen des
Hauses haben sie voranzugehen und dürfen nicht zurückbleiben, selbst dann nicht, wenn
die Herrin oder der Herr darauf bestehen sollten, vielmehr müssen sie sie bis zum Tragsessel
oder zur Kutsche begleiten.104
Hinzu kommt, dass am Hof niemand in Konkurrenz zu den Damen treten durfte. Bereits
im Jahr 1600 wurde Prostituierten die Nutzung von Kutschen, Karossen und Sänften un-
tersagt.105 Dieses Verbot wurde 1611 auch auf Tragsessel ausgedehnt, was deren gesteigerte
104 „[…] irán delante de la señora todos los Gentileshombres, y oficiales […]. Y cuando la señora reciba
visitas, no han de salir de casa un punto aguardando que salgan las señoras, que han venido a visitar a
su ama, y en saliendo han de ir delante; y no se han de quedar, aunque más porfíe la señora, o señor, que
se quede, hasta dejarlos en la silla, o coche“. Miguel Yelgo de Vázquez, Estilo de servir a Príncipes
con exemplos morales para servir a Dios (Madrid 1614), BNE, R 2868, fol. 101v–102r. Die Notwen-
digkeit, Damen im Tragsessel abzuschirmen, war keineswegs nur ein literarischer Allgemeinplatz,
sondern hatte handfeste Gründe. Dies illustrieren folgende Beispiele aus Madrid: Im Jahr 1661
stellte Francisco de Almaraz die Bitte, ihm eine vierjährige Haftstrafe in Afrika zu erlassen, die er
nach einem Angriff auf die Dienerschaft der Condesa de Benavente erhalten hatte, als diese im
Tragsessel durch die Gasse Callejuela del Postigo de San Martín ging. Ein anderes Beispiel datiert
von 1708, als Söhne des Marqués de Valdetorres Sesselträger erstachen, die ihnen den Vortritt ver-
weigert hatten. Die Opfer hatten den leeren Tragsessel des Duque de Veragua befördert. AHN,
Consejos, Leg. 4437/ 55 und Leg. 7151, unfol.
105 Das Gesetz lautete, dass „ninguna muger que públicamente fuere mala de su cuerpo, y ganare por ello,
pueda andar en coche, ni carroça, en esta nuestra Corte, ni en otro algun lugar destos nuestros Reynos,
sopena de quatro años de destierro della, con las cinco leguas, y de qualquier otros lugar y su jurisdicción
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Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918