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ist, griff selbst zwar sehr häufig zu Kutschen und Sänften, benutzte aber offenbar niemals
Tragsessel.279
Für adelige Damen scheinen hinsichtlich der Verwendung von Tragsesseln keinerlei
Restriktionen geherrscht zu haben, solange dabei kein Konflikt mit dem Hofzeremoniell
entstand. Von der selbstbewussten Nutzung und Zurschaustellung von Tragsesseln sei-
tens weiblicher Adelsangehöriger zeugt ein außergewöhnliches Gemälde aus dem frühen
18. Jahrhundert (Abb. 14). Es stammt ursprünglich aus dem Besitz von Maria Gabriela
Gräfin Lazansky von Bukowa (geb. Czernin) und wurde zwischen 1715 und 1717 als Teil
der Ausstattung für Schloss Manětín in Böhmen geschaffen. Im Bildzentrum ist der ge-
schlossene, mit rotem Leder überzogene und mit Fenstergläsern und kleinen Dachvasen
versehene Tragsessel der Gräfin dargestellt. Auf den sichtbaren Seitenpaneelen ist mittels
vergoldeter Ziernägel das Monogramm der Besitzerin in doppelter Ausführung nachge-
zeichnet. Das über zwei Meter hohe Gemälde zeigt auch in monumentaler Weise zwei äu-
ßerst selbstbewusst wirkende, schwarz livrierte Diener, die sich auf Basis erhaltener Schrift-
quellen als die beiden Sesselträger Johannes Pleistein und Jacob Krummer identifizieren
lassen.280
3 Zu Herkunft, Gestalt und Ausstattung der kaiserlichen Tragsessel im 17. Jahr-
hundert. Mit einer Besprechung des ältesten erhaltenen Exemplars des Wie-
ner Hofes
Im Folgenden sollen die vorliegenden Informationen zu den in Schrift- und Bildquellen
fassbaren kaiserlichen Tragsesseln noch einmal gebündelt präsentiert und der älteste erhal-
tene Tragsessel des Wiener Hofes besprochen werden. Zum Aussehen jener Tragsessel, die
vor 1615 an den Höfen der österreichischen Habsburger in Verwendung standen, existieren
bislang bedauerlicherweise weder schriftliche noch bildliche Hinweise, weshalb sich über
ihre Gestalt nur Vermutungen anstellen lassen. Erste gesicherte, wenn auch nur bruch-
stückhafte Hinweise auf das Aussehen kaiserlicher Tragsessel datieren ab 1615. Von dem
Tragsessel, der damals als Geschenk aus Florenz an Kaiserin Anna gelangte, ist überliefert,
dass er einem am Florentiner Hof gängigen Modell folgte. Außerdem ist bekannt, dass er
über einen geschlossenen, rot tapezierten Passagierkasten verfügte und seine Trageholme
einen roten Anstrich aufwiesen.281 Nahezu keine Informationen liegen zu einem Tragsessel
279 Vgl. Keller/Catalano 2010 (wie Anm. 213).
280 Jaroslav Sojka (Hg.), Zapřažená krása. Kočáry, saně a nosítka 18.–20. Století (Ausstellungskatalog,
Praha 2014), S. 80. Die Kenntnis dieses Gemäldes verdanke ich Monica Kurzel-Runtscheiner.
281 Siehe hierfür Kapitel 2.2.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918