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Tragsessel an den Höfen der österreichischen Habsburger 283
Form299 samt den leicht geschwungenen Diagonalstegen, die eine geschnitzte Bekrönung
am Kreuzungspunkt aufweisen, mit dem Untergestell zahlreicher Möbel – hauptsächlich
Tische – aus dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts, vor allem aber der 1710er und 1720er
Jahre vergleichbar,300 sodass eine Datierung in diesen Zeitraum plausibel erscheint. Für
eine Entstehung in jenen Jahren sprechen auch schriftliche Zeugnisse. So erwähnen die
Zeremonialprotokolle des Wiener Hofes, dass Kaiserin Elisabeth Christine am 6. Februar
1718 anlässlich eines Kirchganges in Wien durch die Benutzung eines neuen, kostbaren
Tragsessels öffentlich deklarierte, in anderen Umständen zu sein.301 Einige Monate spä-
ter, am 22. Oktober 1718, kam beim Hervorgang der Kaiserin aus dem Kindbett erneut
ein Tragsessel zum Einsatz. Laut Eintrag in den Zeremonialprotokollen handelte es sich
dabei um einen „käy[serliche]n rot-sammeten, und mit goldenen borden bebramten ses-
sel“302. Wir können davon ausgehen, dass beim Hervorgang derselbe Tragsessel verwendet
wurde, der erst wenige Monate zuvor neu gebaut worden war und dessen Beschreibung
mit der Ausstattung des ältesten erhaltenen Tragsessels des Wiener Hofes übereinstimmt.
Es spricht also einiges dafür, die Entstehungszeit dieses repräsentativen Tragevehikels in die
Monate rund um den Jahreswechsel 1717/18 anzusetzen.
299 Für Maria-Theresianische Sessel sind bis in die 1770er Jahre geschwungene Beine und die meist
eingerollten Sesselfüße charakteristisch. Vgl. die zahlreichen Beispiele bei Witt-Dörring 1978
(wie Anm. 3).
300 Vgl. etwa Beispiele bei Kreisel 1970 (wie Anm. 296), Abb. 1, 30, 210, 313, 361, 387; Brigitte Lan-
ger/Alexander Herzog von Württemberg (Bearb.), Die deutschen Möbel des 16. bis 18. Jahr-
hunderts (Die Möbel der Residenz München 2, München/New York 1996), S. 134 f. Einen auf
den ersten Blick zwar schlagenden, tatsächlich aber problematischen stilistischen Vergleich stellt
Christian Witt-Dörring bei seiner Behandlung des Tragsessels aus der Wagenburg an. Er bildet
in seiner Dissertation als Referenzobjekt einen Armlehnsessel aus dem Neuen Palais in Potsdam
ab und folgt dabei in der Datierung des Sessels (um 1725) Heinrich Kreisel. Witt-Dörring 1978
(wie Anm. 3), Abb. 268; Kreisel 1970 (wie Anm. 296), S. 24 f., Abb. 9. Nach neuerer Erkenntnis
scheint der im Krieg verloren gegangene Sessel aus Potsdam aber zu einer neobarocken Gruppe zu
gehören, die erst 1890 für das Berliner Schloss angefertigt wurde. Für den Hinweis darauf möchte
ich mich bei Henriette Graf von der „Stiftung Preußische Schlösser und Gärten“ bedanken.
301 „6. Februar 1718: Öffentlicher kirchgang nach den stüfft st. Dorothè. […] Zu welcher andacht
ihro may. die kayserin wegen dero gesegneten leibs sich in einen kostbahren neüen trag seßl haben
offentlich überbringen lassen.“ ÖStA, HHStA, ZA, Prot. 10, fol. 111v.
302 ÖStA, HHStA, ZA, Prot. 10, fol. 178r.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918