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Tragsessel an den Höfen der österreichischen Habsburger 287
Folgen der Geburt. Die Zahl der damals vorhandenen sieben Sesselträger wurde aufgrund
des Ablebens der Kaiserin diesmal nicht reduziert und lag auch in den folgenden Jahren
konstant bei sieben bis acht. Erst ab 1655 wurden wieder vermehrt Sesselträger benötigt, da
nicht nur für die dritte Gemahlin Ferdinands III., Eleonora Gonzaga (II.), Tragsessel bereit-
gestellt werden mussten, sondern auch für den zunehmend gebrechlicher werdenden Kaiser
selbst. Einen vorläufigen Höchststand erreichte die Zahl der Sesselträger kurz vor dem Tod
Ferdinands III. im Frühling 1657, als insgesamt sechzehn Sesselträger in kaiserlichen Diens-
ten standen. Vermutlich war die eine Hälfte von ihnen für die Bedienung des Kaisers und
die andere Hälfte für die seiner Gemahlin abgestellt. Nach dem Tod des Kaisers wurden
sämtliche Sesselträger entlassen. Neuaufnahmen fanden aller Wahrscheinlichkeit nach erst
wieder statt, als Kaiser Leopolds I. erste Gemahlin, Margarita Teresa, Ende 1666 in Wien
eintraf. Für den Beginn des Jahres 1667 lassen sich bereits wieder sieben Sesselträger im kai-
serlichen Hofstaat nachweisen. Ab 1675 stieg die Zahl der Sesselträger kontinuierlich an, bis
schließlich 1678 erneut sechzehn Sesselträger in kaiserlichen Diensten standen. Wie bereits
an früherer Stelle ausgeführt wurde, lässt sich dies nur damit erklären, dass sich damals auch
der Kaiser selbst im Tragsessel transportieren ließ. Bis 1683 sank die Zahl der Sesselträger
wieder auf elf und pendelte bis zum Ende des Jahrhunderts stets zwischen neun und zwölf.
In den letzten Jahren der Regierung Leopolds I. verrichteten schließlich nur noch sechs bis
acht Sesselträger Dienst im kaiserlichen Hofstaat. Seit 1. April 1699, also wenige Wochen
nach der Hochzeit zwischen Joseph I. (1678–1711) und der hannoveranischen Prinzessin
Amalie Wilhelmine (1673–1742), lassen sich auch in einem königlichen Hofstaat erstmals
seit vielen Jahrzehnten wieder Sesselträger nachweisen. Kurze Zeit später, nachdem sich
bei Amalie Wilhelmine erste Anzeichen einer Schwangerschaft bemerkbar gemacht hatten,
erhöhte man die Zahl der königlichen Sesselträger auf neun. Während der kurzen Regent-
schaft Josephs I. zwischen 1705 und 1711 lag die Zahl der kaiserlichen Sesselträger schließlich
konstant bei elf.
Die starken italienischen Einflüsse bei der Einführung von Tragsesseln am Kaiserhof
wurden bereits mehrfach erwähnt. Sie fanden auch bei der Herkunft der kaiserlichen Ses-
selträger ihren Niederschlag, denn unter ihnen stellten für viele Jahrzehnte Italiener eine
dominante Gruppe. Parallelen zu diesem Phänomen finden sich in der Frühen Neuzeit auch
in anderen Hofstallabteilungen, etwa bei den Läufern, die in der ersten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts ebenfalls vorwiegend aus Italien rekrutiert wurden,315 bei der Gruppe der Kutscher,
die in den 1560er Jahren meist aus Ungarn stammten,316 oder bei den Jägern der Vénerieab-
315 Vgl. Irene Kubiska-Scharl/Michael Pölzl, Die Karrieren des Wiener Hofpersonals 1711–1765.
Eine Darstellung anhand der Hofkalender und Hofparteienprotokolle (Forschungen und Beiträge
zur Wiener Stadtgeschichte 58, Innsbruck/Wien/Bozen 2013), S. 394 f.
316 Vgl. Mario Döberl, Unterwegs mit dem Tafelgeschirr. Der höfische „Marendwagen“, ein verges-
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918