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Tragsessel an den Höfen der österreichischen Habsburger 291
angeführt.332 So lässt sich anhand der vorliegenden Informationen zur Herkunft der kaiser-
lichen Sesselträger zusammenfassend festhalten, dass die Gruppe der Italiener zahlenmä-
ßig von Genuesen dominiert war, auch wenn es vereinzelt Mailänder und möglicherweise
auch Neapolitaner unter ihnen gab.
Am zuvor erwähnten Beispiel Giorgio Bianchis war bereits zu sehen, dass sich aus Ita-
lien stammende Sesselträger bemühten, Verwandte und Bekannte aus ihrer Heimat nach-
kommen zu lassen und diese ebenfalls als Sesselträger am Kaiserhof unterzubringen. Für
ein derartiges Vorgehen gibt es noch weitere Exempel.333 So schrieb etwa Giovanni Battista
Fagiani an Oberststallmeister Harrach, dass er am 1. Oktober 1679 den Kaiser darum ge-
beten habe, einen seiner Brüder als Sesselträger aufzunehmen. Ihm sei daraufhin beschie-
den worden, dass dies frühestens nach dem Freiwerden einer derartigen Stelle möglich
sei. Nachdem sich nun aber durch den Tod von „Pantaleo Remerzale“, der stets gemein-
sam mit Fagiani Sesselträgerdienste verrichtet hatte, eine Vakanz ergeben habe, ersuchte er
Harrach, diese Stelle seinem Bruder zu verleihen. Dieser könne, so Fagiani, im Falle einer
positiven Erledigung sogleich – vermutlich aus Italien – die Reise nach Wien antreten.334
Giovanni Battista Fagianis Intervention für seinen Bruder war vermutlich erfolgreich,
denn in den Hofstaatsverzeichnissen schien seit 1. Juli 1699 unter den Sesselträgern König
Josephs I. ein Francesco Fasan beziehungsweise Fagiani auf.335 Maria Graf, die aus Italien
stammende Witwe des verstorbenen kaiserlichen Wagenmeisters Martin Graf, wurde beim
Kaiser vorstellig, da sie vom Plan gehört habe, neue Hofsesselträger aufzunehmen und
dafür auch Männer aus Italien kommen zu lassen. Graf empfahl dem Kaiser ihren Schwie-
gersohn Giovanni Battista Tomasdine.336 Da Tomasdine in keinen Sesselträgerlisten auf-
scheint, ging der Wunsch seiner Schwiegermutter vermutlich nicht in Erfüllung.
Mehr Glück war offenbar Joachim Müller beschieden, der bei der Gemahlin von
Oberststallmeister Ferdinand Bonaventura Graf Harrach als Lakai und Sesselträger diente.
Sein Beispiel illustriert, dass auch eine Stelle als Bediensteter im privaten Hofstaat des
Oberststallmeisters eine Eintrittskarte in den Hofsesselträgerdienst sein konnte. Die ver-
witwete Maria Susanna Pachern wandte sich schriftlich an Harrach, berichtete ihm von
332 Käyserlicher und Königlicher wie auch Ertz-Hertzoglicher und dero Residentz-Stadt Wienn
Staats- und Stands-Kalender / Auff das jahr M.DCCIV. Mit einem noch nie dergleichen gesehe-
nen Schematismo geziert (Wien o.J.), S. 192
333 Zu diesem Phänomen siehe allgemein Kubiska-Scharl/Pölzl 2013 (wie Anm. 315), S. 194–198.
334 Kaiserlicher Sesselträger Giovanni Battista Fagiani an Oberststallmeister Ferdinand Bonaventura
Graf Harrach, undat. (aber zwischen 1677 und 1699), ÖStA, AVA, FA Harrach, Akten, K. 2517,
unfol.
335 ÖStA, HHStA, OMeA, SR, K. 188, fol. 264v.
336 Maria Graf an Kaiser Leopold I., undat. (aber zwischen 1677 und 1699), ÖStA, AVA, FA Harrach,
Akten, K. 2515, unfol.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918