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Tragsessel an den Höfen der österreichischen Habsburger 293
Gemeinsam ist sämtlichen angeführten Beispielen zu den Karriereverläufen der hohe
Spezialisierungsgrad der Sesselträger. Um als solcher am Kaiserhof aufgenommen zu wer-
den, musste man sich offenbar bereits zuvor andernorts in diesem Beruf bewährt haben.
Dies galt zumindest bis Anfang des 18. Jahrhunderts. Danach änderte sich das Karriere-
modell für Hofsesselträger. Von 1716 an wurden diese häufig aus den Reihen der kaiser-
lichen Heiducken rekrutiert.344 Der Grund für diese Umstellung ist bislang nicht erforscht.
Es handelte sich dabei jedoch um einen internationalen Trend, denn auch an anderen
Höfen, etwa jenen Bayerns, Schwedens, Dresdens oder Weimars, wurden Heiducken als
Sesselträger eingesetzt.345 Unberührt von dieser offenbar 1716 am Kaiserhof eingeführten
Neuerung blieb jedoch die Tatsache, dass eine Anstellung als kaiserlicher Sesselträger kein
Sprungbrett für eine andere Funktion innerhalb des Hofstaates gewesen zu sein scheint.
Wer am Kaiserhof einmal als Sesselträger diente, blieb dies bis zu seiner Entlassung, seiner
Versetzung in den Ruhestand beziehungsweise bis zu seinem Tod.
Von 1682 datiert die einzige bekannte Dienstvorschrift für kaiserliche Sesselträger.346 Im
Zentrum dieser sogenannten „Sesseltrager Ordnung“, die von Oberststallmeister Ferdi-
nand Bonaventura Graf Harrach unterzeichnet wurde, stehen organisatorische und dis-
ziplinäre Richtlinien, nicht jedoch praktische Anweisungen. Anlass für die Erstellung des
Regelwerks war, wie zu Beginn desselben zu lesen ist, die Unzufriedenheit des Kaisers mit
seinen Sesselträgern. Um eine Verbesserung der Situation herbeizuführen, sollten die Ses-
nen Schematismo geziert (Wien o.J.), S. 205; Staat des Käyserl. Hoffs / vom Jahr 1706. biß 1708.
Ehedessen / unter dem Titl Käyserlichen und Königlichen / wie auch Ertz-Hertzoglichen / dan
dero Residenz Stadt / Wienn / Staats- u. Stands-Kalender / Mit einem noch nie dergleichen ge-
sehenen Schematismo heraus gegeben. Erster Theil (Wien o.J.), o.S.
344 Vgl. Irene Kubiska, Der kaiserliche Hof- und Ehrenkalender zu Wien als Quelle für die Hoffor-
schung. Eine Analyse des Hofpersonals in der Epoche Kaiser Karls VI. (1711–1740), 2 Bde. (ungedr.
Diplomarbeit, Universität Wien 2009), Bd. 2, S. 70–171.
345 Claus Heinrich Bill, Kulturgeschichte der Portechaise. Soziale und kulturelle Aspekte des Sänf-
tenwesens (München 2013), S. 91–93.
346 Eine Transkription der Sesselträgerordnung ist in Kapitel 6.2 abgedruckt. Zu Dienstinstruktionen
am Kaiserhof im Allgemeinen siehe vor allem Martin Scheutz/Jakob Wührer, Dienst, Pflicht,
Ordnung und „gute policey“. Instruktionsbücher am Wiener Hof im 17. und 18. Jahrhundert.
In: Pangerl/Scheutz/Winkelbauer 2007 (wie Anm. 139), S. 15–228; Jakob Wührer/Martin
Scheutz, Zu Diensten Ihrer Majestät. Hofordnungen und Instruktionsbücher am frühneuzeit-
lichen Wiener Hof (Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 6,
Wien/München 2011). Kutscher bilden eine Dienerkategorie, die jener der Sesselträger in vielerlei
Hinsicht vergleichbar ist. Zu Verhaltensregeln für Kutscher im Spanien des frühen 17. Jahrhun-
derts und zu deren Reputation in literarischen Werken siehe Alejandro López Álvarez, El oficio
de cochero en la sociedad cortesana a comienzos del siglo XVII: disciplina e integración social.
In: Juan Jesús Bravo Caro/Juan Sanz Sampelayo (Hg.), IX Reunión Científica de la Fundación
Española de Historia Moderna. Universidad de Málaga, 2 Bde. (Málaga 2009), Bd. 2, S. 903–921.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918