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Tragsessel an den Höfen der österreichischen Habsburger 297
kommen. Kritisiert wurde im Gutachten weiterhin, dass de la Place Franzose sei, denn dies
lasse befürchten, dass er vor allem Landsmänner beschäftigen könnte, was wiederum Un-
mut in der Bevölkerung hervorrufen würde. Trotz aller in diesem Gutachten geäußerten
Vorbehalte wurde Michel de la Place kurze Zeit später die exklusive Erlaubnis erteilt, ein
Miettragsesselsystem in Wien zu installieren. Spätestens in den ersten Jahren des 18. Jahr-
hunderts verlor de la Place seine Monopolstellung am Wiener Miettragsesselsektor aber
wieder. Die Gründe dafür sind leider nicht überliefert, könnten aber im 1701 ausgebroche-
nen Spanischen Erbfolgekrieg liegen, in dem die Häuser Habsburg und Bourbon einan-
der feindlich gegenüberstanden. Es ist denkbar, dass die damalige politische Situation die
wirtschaftliche Begünstigung eines Franzosen nicht länger opportun erscheinen ließ. Fest
steht, dass Kaiser Leopold I. am 20. Juni 1703 nun seinem eigenen Kammerdiener Hein-
rich Ernst Rauchmüller auf Lebenszeit das Privileg zur Unterhaltung von Miettragsesseln
erteilte.352
Im Privileg von 1703 sind drei Gründe genannt, die den Kaiser zur Einführung von
Miettragsesseln bewegt hatten. Zum einen bestand die Hoffnung, dass damit die hohen
Ausgaben für kostspielige Karossen („Kobel-Wägen“353) vermindert werden könnten, zum
anderen, dass durch eine Reduktion des Wagenverkehrs das Straßenpflaster der Stadt ge-
schont werde, dem die eisenbereiften Kutschenräder offenbar stark zusetzten, und schließ-
lich versprach man sich durch Miettragsessel eine Erhöhung der Lebensqualität für die
Bewohner und Besucher der Stadt, da diesen damit ein zusätzliches bequemes Verkehrs-
mittel zur Verfügung gestellt werde. Vielleicht um Skeptiker von der Sinnhaftigkeit eines
Miettragsesselsystems zu überzeugen, wurde im Text explizit darauf hingewiesen, dass ein
solches bereits in London, Paris, Düsseldorf, München, Hannover, Turin und Brüssel ein-
geführt worden sei und sich an diesen Orten bestens bewährt habe.
Nachdem sich Rauchmüller mit der niederösterreichischen Kammer und Regierung
über verschiedene Punkte, die im Privileg festgehalten sein sollten, verständigt hatte,
wurde das Verhandlungsergebnis dem Kaiser zur Beschlussfassung vorgelegt. Leopold I.
genehmigte schließlich folgende Bestimmungen und Einschränkungen: Erstens durfte
Rauchmüller nur Sesselträger „Teutscher Nation“ beschäftigen, wobei im Text nicht wei-
ter ausgeführt wird, welche Gründe zu diesem Passus geführt haben. Vielleicht waren es
negative Erfahrungen, die man zuvor mit de la Places französischen Sesselträgern gemacht
hatte, möglicherweise versuchte man mit dieser Regelung aber auch Italiener, die in die-
352 Das Privileg ist im vollen Wortlaut in Kapitel 6.4 abgedruckt.
353 Dabei handelte es sich nicht um den im Spätmittelalter und im 16. Jahrhundert weit verbreite-
ten Wagentypus gleichen Namens, der über ein tonnenförmiges Wagendach verfügte. Vermutlich
wurden um 1700 auch repräsentative Fahrzeuge mit einem geschlossenen Wagenkasten als Kobel-
wagen bezeichnet. Nähere Informationen dazu bei Döberl 2010 (wie Anm. 240), S. 280.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918